Landtag

Hätte Lübcke-Mord verhindert werden können?

Mit Walter Lübcke ist erstmals in der Bundesrepublik ein aktiver Politiker einem rechtsextremen Mord zum Opfer gefallen. Drei Jahre lang hat sich ein Untersuchungsausschuss damit befasst. Versäumnisse, Verbesserungen - was sagt der Landtag abschließend zu dem Verbrechen?

Das Rednerpult ist vor Beginn einer Plenardebatte im hessischen Landtag noch leer. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa/Archivbild
Das Rednerpult ist vor Beginn einer Plenardebatte im hessischen Landtag noch leer.

Wiesbaden (dpa/lhe) - Rund vier Jahre nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat sich Hessens Landtag uneins gezeigt bei der Frage, ob das Verbrechen zu verhindern gewesen wäre. In der Debatte über den Abschlussbericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu dem politischen Mord sagte Torsten Felstehausen (Linke) am Mittwoch in Wiesbaden: Ja, es wäre möglich gewesen. Es habe zuvor ein doppeltes Versagen gegeben: Die Politik sei den Gefahren der Neonazi-Szene nicht konsequent entgegengetreten und die Sicherheitsbehörden hätten Fehler gemacht. So gravierende, dass das Landesamt für Verfassungsschutz aufgelöst werden müsse.

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Holger Bellino von der CDU-Regierungsfraktion betonte dagegen, es habe vor dem Mord 2019 keine Hinweise auf die Tatplanung gegeben. Auch hätten die rechtlichen Möglichkeiten gefehlt, den schon als Rechtsextremisten bekannten Mörder in den Jahren vor dem Verbrechen zu observieren oder gar abzuhören. «So kommen wir zu dem Schluss: Die grausame Tat, die uns alle in Mark und Bein erschüttert hat, war durch die Sicherheitsbehörden nicht zu verhindern», bilanzierte Bellino. «Verbesserungspotenzial» an einzelnen Stellen sei vom Untersuchungsausschuss in seiner dreijährigen Arbeit allerdings aufgespürt worden. Polizei und Verfassungsschutz seien weiterentwickelt worden.

Eva Goldbach von der Regierungsfraktion der Grünen sagte, trotz behördlicher Versäumnisse lasse sich die Frage, ob der Mord zu verhindern gewesen wäre, «nicht faktenbasiert beantworten». Eine «Kausalkette» dafür gebe es nicht. Gleichwohl stehe die Gefahr des Mörders rückblickend wegen seiner gewalttätigen Vergangenheit außer Frage. Die einstige Entscheidung des Verfassungsschutzes, ihn nicht weiter zu beobachten, sei ein Fehler gewesen. Der Abschlussbericht von Schwarz-Grün im Untersuchungsausschuss enthalte umfassende Empfehlungen für Verbesserungen bei den Sicherheitsbehörden. Daneben gibt es drei eigene Bewertungen der Opposition - eine Einigung auf eine einzige Bilanz scheiterte unter den sechs Fraktionen.

Auch der Berichterstatter des Ausschusses, Gerald Kummer (SPD), bilanzierte, es könne nicht sicher beantwortet werden, ob Lübckes Tod zu verhindern gewesen wäre. Es habe bei den Behörden keinen einzelnen Schuldigen und keinen bösen Willen gegeben, sondern es hätten sich «viele kleine Nachlässigkeiten und Unaufmerksamkeiten addiert». Laut SPD-Fraktionschef Günter Rudolph nahmen die Sicherheitsbehörden offensichtlich nicht das «Kesseltreiben» mit Beleidigungen und Drohungen gegen Lübcke im Internet nach einer Bürgerversammlung ernst.

Matthias Büger von der FDP sagte ebenfalls, es gebe keine Beweiskette, dass ein anderes Agieren der politisch Verantwortlichen den Mord hätte verhindern können. «Die mangelhafte Ausstattung des Verfassungsschutzes hat aber das Risiko deutlich vergrößert, dass der Mörder vom Radar des Verfassungsschutzes verschwunden ist. Deshalb gibt es eine politische Verantwortung für die Missstände.»

Der AfD-Abgeordnete Klaus Herrmann erklärte, der Untersuchungsausschuss sei «richtig und notwendig» gewesen. Zur Forderung der Linken, Akten über Rechtsextremismus länger und bundesweit zu archivieren, bemerkte er: «Für Akten aus dem Bereich Linksextremismus und Islamismus muss das Gleiche gelten.»

Der CDU-Politiker Lübcke war 2019 von dem Rechtsextremisten Stephan Ernst erschossen worden. 2020 wurde der Untersuchungsausschuss ins Leben gerufen, der die Rolle der Sicherheitsbehörden in dem Mordfall aufarbeiten sollte. Der verurteilte Mörder Ernst war als Rechtsextremist aktenkundig, aber zum Tatzeitpunkt nicht mehr unter besonderer Beobachtung des Verfassungsschutzes gewesen.