Weinheim/Hirschberg

Nach brutalem Überfall auf Wirt: Warum nur zwei Jugendliche vor Gericht landen

Bis heute leidet der 37-Jährige unter dem Trauma der Novembernacht. Er will, dass die Verantwortlichen für das geradestehen, was sie ihm angetan haben.

Achim Sagstetter, Besitzer des „Fantastisch“ in Leutershausen, wurde im November 2022 brutal von Jugendlichen zusammengeschlagen. Nun soll zwei von ihnen der Prozess gemacht werden. Foto: Philipp Reimer
Achim Sagstetter, Besitzer des „Fantastisch“ in Leutershausen, wurde im November 2022 brutal von Jugendlichen zusammengeschlagen. Nun soll zwei von ihnen der Prozess gemacht werden.

Die körperlichen Verletzungen sind weitgehend verheilt. Was die seelischen Wunden anbelangt, hat Achim Sagstetter jedoch noch einen langen Genesungsweg vor sich. „Ich will einfach endlich einen Haken an die Sache machen“, sagt der 37-jährige Wirt, der im November 2022 beim Gassigehen brutal zusammengeschlagen wurde. Im März soll nun zweien der mutmaßlichen Täter der Prozess wegen gefährlicher Körperverletzung am Amtsgericht gemacht werden.

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Angriff bei Nacht

Der verhängnisvolle Abend des 5. Novembers 2022 liegt jetzt über ein Jahr zurück. Nachdem der Familienvater sein Lokal in Leutershausen, das „Fantastisch“, zugeschlossen hatte, wollte er noch eine Runde mit seinem Chihuahua Ettore im Feld drehen. Als er am nördlichen Ortsausgang unterwegs war, hörte er bereits aus der Ferne laute Stimmen. Wie der 37-Jährige berichtet, begegnete er einer Gruppe von sechs Jugendlichen.

Im Vorbeigehen ist es zu einer kurzen verbalen Auseinandersetzung gekommen. Danach rückte ihm die Gruppe auf die Pelle. Dabei blieb es nicht: Die Jugendlichen gingen zum Angriff über. Nach einem Faustschlag ins Gesicht ging Sagstetter zu Boden. Als er dort lag, traten die Jugendlichen auf ihn ein, brachen ihm die Nase und Rippe. Auch an Hüfte, Thorax und Auge wurde er verletzt. Zur Behandlung kam er in die Klinik nach Heidelberg-Schlierbach. Auch der OP-Tisch blieb ihm nicht erspart.

Staatsanwaltschaft erzählt abgewandelte Version

In ihrem Anklagevorwurf spricht die Staatsanwaltschaft von einer leicht abgewandelten Version. Nach Angaben von Amtsgerichtsdirektorin Eva Lösche soll es infolge der verbalen Auseinandersetzung am Ortsausgang zum Geschubse gekommen sein. „Einer der Angeklagten soll den Wirt am Hals gepackt haben, der Wirt soll sich zur Wehr gesetzt, einen der beiden Angeklagten auch an den Hals gefasst und zurückgeschlagen haben“, liest Lösche aus dem Anklagevorwurf vor. Achim Sagstetter bestreitet diese Version.

Durch eine Spendenaktion auf "gofundme" wurden 32482 Euro gesammelt. Foto: Screenshot: gofundme
Durch eine Spendenaktion auf "gofundme" wurden 32482 Euro gesammelt.

Dass nun nur zwei von mutmaßlich sechs Angreifern vor Gericht stehen, stößt bei dem Restaurantbetreiber auf Unverständnis. Zwar wurden sechs Tatverdächtige in dem Fall ermittelt. Jedoch erklärte die Staatsanwaltschaft Mannheim, dass bei vieren von ihnen keine Tatbeteiligung nachgewiesen werden konnte. „Für mich bleibt es eine Gruppentat“, sagt Achim Sagstetter. „Als ich am Boden gelegen bin, sind alle sechs weggerannt, ohne dass mir jemand geholfen oder wenigstens einen Krankenwagen gerufen hat.“ Das erfüllt nach Ansicht des 37-Jährigen mindestens den Tatbestand einer unterlassenen Hilfeleistung.

Jugendliche vor Gericht

Bei den beiden mutmaßlichen Schlägern, die nun vor Gericht stehen, handelt es sich laut Richterin Eva Lösche um einen 20- und einen 18-Jährigen. Während der Tat sei letzterer jedoch noch nicht volljährig gewesen. „Deshalb ist es ein nicht öffentliches Jugendverfahren“, so Lösche. Es bleibt nicht bei dem Verfahren am Amtsgericht. Sagstetter klagt auf Schadensersatz. Dieser Prozess, so erzählt er, wird im Juni am Mannheimer Landgericht beginnen. Seinem Kenntnisstand nach sollen alle sechs Jugendlichen auf der Anklagebank sitzen. Deren brutaler Angriff setzte den Wirt drei Monate außer Gefecht. Und das ausgerechnet in der Hochsaison: Mehrere Firmen hatten bereits bei ihm gebucht, um ihre Weihnachtsfeier im „Fantastisch“ auszurichten.

Damals gab es eine Solidaritätswelle aus der Bevölkerung. Eine Spendenkampagne auf der Plattform „gofundme“ wurde ins Leben gerufen. Der Titel: „Nach Überfall Existenz in Gefahr.“ Es wurden sage und schreibe 32 482 Euro gesammelt. Insgesamt gingen 455 Spenden ein. Mehrere Einzelspender überwiesen Beträge von 1000 Euro und mehr.

Trauma geht nicht weg

Der Gastronom leidet bis heute unter den Nachbeben des Überfalls. Lange machten ihm die Brüche zu schaffen, doch sie verebbten allmählich. „Ich habe keine Einschränkungen mehr“, sagt er heute. Nur das Trauma will ihm nicht aus dem Kopf gehen. Nachts alleine unterwegs zu sein, das bereitet ihm nach wie vor Angst. „Das lässt sich aber als Gastronom nicht vermeiden“, so der 37-Jährige. „Und für 800 Meter Wegstrecke das Auto zu nehmen – dafür bin ich einfach zu ökologisch eingestellt.“

Er will, dass die Verantwortlichen für das geradestehen, was sie ihm angetan haben: „Das, was passiert ist, wird nicht unter den Teppich gekehrt.“