Gesundheit

Nahrungsergänzungsmittel: gefährlicher Hype oder harmloser Trend?

Weißes Pulver, pastellfarbene Pillen wohin man schaut: Dank Social Media sind Nahrungsergänzungsmittel inzwischen auch im Mainstream angekommen. Im Gespräch mit unserer Redaktion bringt Gaby Kühn, Ernährungsberaterin aus Fürth, Klarheit in die Mythen und Halbwahrheiten rund um das gehypte Pulver.

Social Media macht es vor: Mittlerweile findet Proteinpulver Einzug in viele Küchen. Foto: Canva Design
Social Media macht es vor: Mittlerweile findet Proteinpulver Einzug in viele Küchen.

Längst wird Proteinpulver nicht mehr nur von Leistungssportlern oder Bodybuildern verwendet, sondern findet auch immer mehr Einkehr in die tägliche Nahrungszubereitung von Nicht-Leistungssportlern. Ein Auslöser des Trends – wie könnte es auch anders sein – findet sich in den sozialen Netzwerken. Dort filmen junge, schöne und sehr aktive Menschen ihren Alltag. In diesen Videos begleitet der Zuschauer die Workaholics zum Sport, Musikstunden und Co. - Protagonist dieser kurzen Videos ist oftmals nicht nur die sich filmende Person, sondern auch ein Pulver in den unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen. Die Botschaft dahinter: Wer aktiv, gesund und erfolgreich sein will, der kommt an Nahrungsergänzungsmitteln nicht vorbei.

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Eine Ernährungsberaterin räumt auf

Doch was sagen Experten zu diesem Hype? Wir haben bei Gaby Kühn nachgefragt. Sie ist eigentlich Gesangs- und Klavierpädagogin. Selbst stark übergewichtig, fängt sie 1995 mit dem Abnehmen an – mit Erfolg! Nach einer Ausbildung zur Ernährungsberaterin eröffnet sie 2001 ihre Ernährungsberatung in Fürth. In unserem Gespräch räumt sie auf mit Halbwahrheiten und Wunschdenken, wenn es um das Thema Proteinpulver geht.

Als Ernährungschoach weiß Gaby Kühn worauf es in der Ernährung ankommt. Foto: Privat
Als Ernährungschoach weiß Gaby Kühn worauf es in der Ernährung ankommt.

Was ist eigentlich ein Protein und wofür benötigt es der Körper?

Kühn: Proteine sind nichts anderes als Eiweiße. Es gibt essenzielle und entbehrliche Proteine. Erstere müssen wir durch die Nahrung zu uns nehmen, da der Körper sie nicht selber bilden kann. Letztere kann der Körper dagegen selber herstellen.

Kühn: Für den Körper sind Proteine ein unverzichtbarer Bestandteil. Sie bilden Enzyme, die wiederum dafür sorgen, dass der Körper Eisen aufnehmen kann. Auch unsere Antikörper bestehen aus Proteinen, also ist unser ganzes Immunsystem auf sie angewiesen. Eiweiße transportieren außerdem Fette, reparieren defekte Körperzellen und sind natürlich auch zum Muskelaufbau notwendig.

Wie viel Gramm Protein muss ein Mensch am Tag zu sich nehmen?

Kühn: Grundsätzlich gilt, dass Säuglinge, stillende Frauen und ältere Menschen einen höheren Proteinbedarf am Tag zu decken haben. Die empfohlene Proteinzufuhr für Erwachsene ab 19 Jahren liegt bei circa 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht. Kinder müssen ungefähr ein Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht decken. Spoiler: Diese Menge bekommen wir locker durch unsere Nahrung zusammen.

In welchen Lebensmitteln ist Protein natürlich enthalten?

Kühn: Sehr bekannte Proteinlieferanten sind alle Arten von Hülsenfrüchten. Dazu gehören zum Beispiel Soja, Linsen und Erbsen. Auch Getreideprodukte tragen zur Versorgung mit Protein bei. Fleisch, Fisch, Milchprodukte und Eier gehören zu den proteinreichen tierischen Lebensmitteln und ermöglichen ebenfalls eine gute Zufuhr der benötigten Menge an Proteinen. Als Veganer oder Vegetarier lebt man also nicht automatisch im Proteindefizit.

Hülsenfrüchte sind die optimalen Proteinlieferanten. Foto: Canva Design
Hülsenfrüchte sind die optimalen Proteinlieferanten.

"Der ganze Proteinhype ist noch ziemlich frisch"

Verfolgen Sie auf Social Media die Trends, in denen die tägliche Ernährung immer mehr mit Proteinpulver und Proteinprodukten gestreckt wird?

Kühn: Nein, ich selbst bekomme auf Social Media keine dieser Videos angezeigt und habe auch privat nichts damit zu tun. Liegt aber wahrscheinlich auch daran, dass ich nichts in diese Richtung googele oder like und der Algorithmus so bei mir keine Chance hat. Ich bekomme solche Trends dann eher durch meine Klienten mit, die mir von Videos erzählen, in denen es um die Thematik geht.

Für viele ist das Kochen oder Backen ohne Proteinpulver nicht mehr vorstellbar. Foto: Canva Design
Für viele ist das Kochen oder Backen ohne Proteinpulver nicht mehr vorstellbar.

Was halten Sie von solchen Trends?

Kühn: Ich bin grundsätzlich nicht gegen Ernährungstrends, aber diese Trends müssen dann Hand und Fuß haben und wissenschaftlich belegbar sein. Ich denke, dass gerade junge Leute, die ja die vornehmliche Zielgruppe sind, oftmals nicht unterscheiden können, ob ein Trend gut oder schlecht für den eigenen Körper ist. Hier zieht der immer gut funktionierende Gruppenzwang und viele junge Menschen rutschen in den Zwang, solch einen Hype mitzumachen. Außerdem halte ich nichts davon, dass hier Produkte von Firmen vermarktet werden, die oftmals dreimal so teuer sind, wie die günstigeren Varianten oder Lebensmittel in denen Proteine natürlich vorkommen.

Kann die erforderliche Tagesmenge an Protein durch eine normale Ernährung zu sich genommen werden oder braucht es hierfür extra Ergänzungsmittel?

Kühn: Nur durch unsere reine Ernährung nehmen wir deutlich mehr Protein zu uns, als wir es eigentlich bräuchten. Nämlich etwa die doppelte Menge. Unsere westliche Ernährung ermöglicht es uns easy den Tagesbedarf an Eiweißen zu decken. Wir brauchen definitiv keine Ersatzprodukte oder Pülverchen, die dann noch zusätzlich das Geld aus der Tasche ziehen.

Kühn: Ich finde es erstaunlich und erschreckend zugleich, wie viele Menschen denken, sie müssen Ergänzungsmittel zuführen, weil sie sonst nicht auf den Tagesbedarf kommen. Ich führe meine Praxis jetzt seit 2001 und hatte noch nie jemanden mit Eiweißmangel vorstellig. Nicht mal mit einem annähernden Mangel. Unsicherheit ist die optimale Grundlage für solche Ernährungstrends. Hier werden Dinge eingeredet, die wissenschaftlich überhaupt nicht fundiert sind.

Wie sieht es mit Sportlern aus? Wird hier eine extra Zuführung von Proteinpulver benötigt?

Kühn: Es kommt auf die Menge des Sportes an. Nehmen wir an, dass eine Person vier bis fünfmal in der Woche für 30 Minuten zum Sport geht, braucht diese Person definitiv keine Proteinpulver. Hier ist die sportliche Menge nicht hoch genug, um darauf angewiesen zu sein.

Kühn: Leistungssportler sind da die Ausnahme. Jemand, der für einen Marathon trainiert oder schwere Gewichte stemmt, benötigt eine höhere Zufuhr an Eiweißen und hier macht eine Ergänzung der Ernährung um zusätzliche Proteinprodukte durchaus Sinn und hat auch seine Berechtigung. Es ist eben wichtig zu bedenken, dass nicht jeder, der täglich ins Fitnessstudio geht, automatisch als Leistungssportler zählt.

Nur die wenigsten Sportler sind wirklich angewiesen auf eine Zuführung von Proteinpulver. Foto: Canva Design
Nur die wenigsten Sportler sind wirklich angewiesen auf eine Zuführung von Proteinpulver.

"Für vorgeschädigte Nieren ist Proteinpulver Gift"

Gibt es spezifische Personengruppen, denen Sie als Ernährungscoach nicht empfehlen würden, Proteinpulver zu sich zu nehmen?

Kühn: Generell gilt, dass eine zu hohe Eiweißzufuhr die Niere belasten kann. Überflüssiges Eiweiß wird im Körper zu Harnstoff umgewandelt und muss über die Niere abtransportiert werden. Personen mit einer sowieso schon eingeschränkten Nierenfunktion sollten auf Proteinpulver verzichten, um die eigene Niere nicht noch mehr zu belasten. Für alle anderen gilt: Nehme ich deutlich mehr Protein durch verschiedene Pulver oder Produkte zu mir, muss ich auch deutlich mehr trinken, um die Nieren gut durchzuspülen.

Wie viel ist zu viel bei Proteinpulver?

Kühn: Momentan ist die Studienlage hierzu noch sehr unklar. Es gibt einfach noch keine Langzeitstudien, die belegen, ob eine dauerhafte Überdosierung der täglichen Proteinmenge zu körperlichen Schäden führt oder nicht. Studien der DGE (Deutschen Gesellschaft für Ernährung) belegen aber, dass für einen kurzen Zeitraum sogar das Einnehmen der drei bis vierfachen Menge an Proteinen keine gesundheitlichen Schäden hervorruft. Vorausgesetzt, die eigene Niere ist gesund und nicht vorbelastet! Würden wir das Interview in einem Jahr nochmal führen, gäbe es bestimmt schon mehr Studien, die sich mit den Langzeitfolgen beschäftigen. Der ganze Proteintrend ist ja noch ziemlich frisch.

Zu jedem Trend gibt es eine Gegenbewegung

Glauben Sie, dass durch die Vielfalt von Nahrungsergänzungsmitteln, die Verwendung von natürlichen Lebensmitteln immer mehr in den Hintergrund rückt?

Kühn: Das Internet ist schon ein faszinierender Ort. Wo ein Trend entsteht, bildet sich fast sofort eine passende Gegenbewegung. So ist es auch hier.

Kühn: Ja, es gibt auf der einen Seite den Trend hin zu immer mehr Ergänzungsmitteln in der Ernährung. Auf der anderen Seite habe ich aber auch das Gefühl, dass sich da eine neue Bewegung gründet. Hier geht es um die Freude am Selberkochen, das Zurückgreifen auf ursprüngliche Lebensmittel und die Verwendung dieser. Also nein, ich glaube nicht, dass Nahrungsergänzungsmittel natürliche Lebensmittel verdrängen. Ich glaube eher das durch momentane Trends, wie jetzt mit dem Proteinpulver, sensibilisiert wird für eine ausgewogene natürliche Ernährung. Zurück zu den Wurzeln des Selberkochens.