Weinheim. Auf dem Weinheimer Hauptbahnhof herrscht am Streiktag tote Hose. Der Schienenverkehr ist gänzlich eingestellt. Züge sieht man, wenn überhaupt, nur auf dem Abstellgleis. Kein einziger Mensch steht auf den Bahnsteigen. Die Stille wird lediglich von einer automatisierten Ansage an die nicht vorhandenen Besucher gebrochen: „Liebe Fahrgäste, bitte beachten Sie, dass das Rauchen auf dem Bahnhof untersagt ist.“
Grund für die gespenstische Szenerie sind gemeinsame Warnstreiks der Gewerkschaft Verdi mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG. Betroffen ist auch das hiesige Verkehrsunternehmen RNV, das im Rhein-Neckar-Raum den öffentlichen Personennahverkehr betreibt. „Ebenso wie am Freitag werden auch am Montag von Betriebsbeginn um 3 Uhr bis zum Betriebsende in der Nacht auf Dienstag sowohl der Straßen- und Stadtbahnverkehr als auch der Busverkehr sowie die fips-Shuttles komplett stillstehen“, lässt die RNV bereits im Vorfeld wissen.
Der großflächige Warnstreik findet vor dem Hintergrund der aktuellen Tarifverhandlungen statt. Für die 2,5 Millionen Beschäftigte von Bund und Kommunen verlangt Verdi 10,5 Prozent mehr Einkommen, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat. Die EVG fordert von der Deutschen Bahn zwölf Prozent mehr Lohn, mindestens aber 650 Euro im Monat mehr. Während in Mannheim demonstriert wird und in Heidelberg eine Kundgebung stattfindet, werden in Weinheim keine Streiksprüche skandiert und in keine Trillerpfeife geblasen.
Neben der Totenstille an den Gleisen herrscht am Busbahnhof um die Ecke wenigstens ein bisschen Leben. „Mein Bus fährt heute“, sagt Maria Puri aus Unterflockenbach freudestrahlend. Zweimal in der Woche fahre sie in den Stadtkern, um dort Gymnastik zu machen. Dass sie auch an diesem Montag gut nach Weinheim und wieder zurückkommt, habe sie sich am Tag zuvor extra noch von einem Busfahrer bestätigen lassen. „Normalerweise fährt mich ja mein Mann“, sagt sie. „Aber ab und zu nehme ich auch den Bus.“ Bei den privaten Busunternehmen der Verkehrsgesellschaft Gersprenztal (VGG), die für den VRN den Busverkehr im hessischen Süden durchführt, wird offensichtlich nicht gestreikt.
In den Läden am Bahnhof wird trotz der fehlenden Kundschaft ebenfalls nicht die Arbeit niedergelegt. Buch und Presse sei bereits auf den Streiktag vorbereitet gewesen: „Die Geschäftsführung hat vorgeschlagen, dass wir die Öffnungszeiten verkürzen, also später anfangen und früher aufhören“, sagt Mitarbeiter Robert Seebacher. „Aber wir bekommen montagmorgens ja unsere Lieferungen.“
Und so standen die Angestellten dort dennoch zu Dienstbeginn um 6 Uhr parat, um die Kisten mit Süßigkeiten und Getränken in Empfang zu nehmen und einzusortieren.
Das Kundenaufkommen schätzt Seebacher um 75 Prozent weniger ein, als an einem gewöhnlichen Montag. „Es ist nicht ganz so anstrengend, dafür aber ziemlich langweilig“, reflektiert er. Und seine Kollegin Elke Ehret: „Die Zeit geht einfach nicht rum.“ Bei der Bäckerei Riegler nebenan ein ähnliches Stimmungsbild: „Mehr als die Hälfte der Kundschaft fehlt“, sagt Angestellte Sarah Pöschel. Vor ihr liegen dutzende belegte Brötchen – unberührt. Immerhin sei heute während des laufenden Betriebs mehr Zeit zum Aufräumen und Saubermachen, was den Feierabend ein wenig nach vorne ziehe.
Fehlende „Kundschaft“ ist auch in vielen Schulen die Devise. So berichtet Schulleiterin Franziska Rüter, dass in den Klassen flächendeckend Schüler fehlten. „Wo es möglich war, haben wir Homeschooling als Alternative angeboten“, sagt Rüter. Doch standen in der beruflichen Schule heute auch Klassenarbeiten und Projekte an, die Präsenzunterricht erforderlich machten. Eine Universal-Entschuldigung gebe es trotz des Streiktags nicht. „Aber wir drehen keinem Schüler einen Strick aus der heutigen Situation.“ Wenn jemand gefehlt hat, schaue die Schulleitung sich den Fall „individuell und mit viel Augenmaß an“.
Die großen Ausfälle im Verkehr sollen bereits am Dienstag beendet sein. Doch auch dann kann es hier und da noch zu Verzögerungen kommen. Beispielsweise gibt die Deutsche Bahn an, dass es noch etwas dauern kann, bis die ICE- und IC-Züge wieder dort sind, wo sie gebraucht werden. Von Gabriel Schwab
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