Rimbach

Warum die Familie Oppenheimer aus Rimbach fliehen musste

Gastbeitrag: Günther Röpert hat Informationen über die jüdische Familie Oppenheimer und ihre Flucht in die USA zusammengetragen.

Klara und Isidor Oppenheimer (Mitte und rechts) in Rimbach. Foto: Röpert
Klara und Isidor Oppenheimer (Mitte und rechts) in Rimbach.

Die Initiative „Erinnern – Gegen das Vergessen“ hat sich zur Aufgabe gemacht, an die Verfolgung jüdischer Mitbürger in Rimbach zu erinnern und geht zudem deren Lebenswegen nach. Als Gastbeiträge stellt die WNOZ seit dem Auftakt Anfang März, der sich mit der Familie Hamburger aus der Fahrenbacher Straße beschäftigte, immer wieder die Ergebnisse der Recherchen vor. In diesem Gastbeitrag stellt Autor Günther Röpert jetzt das Recherche-Ergebnis über das Leben der Familie Oppenheimer vor.

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Folgende Menschen gehörten zu dieser Familie: Isidor Oppenheimer (1881 bis 1959), Klara Oppenheimer, geborene May (1889 bis 1989), Friedrich (Fred) Oppenheimer (1912 bis 2009), Hilda Oppenheimer (1916 bis 2009) und Richard Oppenheimer (Sohn von Hilda und Fred).

Röperts Nachforschungen beginnen mit dem Kontakt, den Fred Oppenheimer zum Rimbacher Geschichtsforscher Wolfgang Gebhard aufbaute. Dazu schreibt Röpert: „Fred Oppenheimer aus New York traute seinen Augen nicht. ,Auskunft über Juden aus Rimbach gesucht’ las er am 21. November 1986 in der deutsch-jüdischen Exilzeitung ,Aufbau’, die in New York seit 1934 monatlich herausgegeben wurde.“

52 Jahre nach seiner Auswanderung versuchte jemand aus seiner Odenwälder Heimatgemeinde, Kontakt zu ehemaligen Rimbacher Juden aufzunehmen. Gebhard hatte nicht nur in Mexiko, Argentinien und Israel, sondern auch in den USA Anzeigen geschaltet, um Beiträge von ehemaligen Rimbacher Juden für sein geplantes Buch zu bekommen. Noch am selben Tag schrieb der New Yorker zurück: „Mein Name ist Fred Oppenheimer. Ich bin am 15. Mai 1912 geboren, als Sohn von Isidor und Klara Oppenheimer. Wir wohnten in der Brunnengasse 8.“ Dem anschließenden intensiven Briefwechsel zwischen Gebhard und ihm verdanken wir unter anderem nachfolgende Informationen über die Rimbacher Familie Oppenheimer.

Judenschule und Synagoge

Die Oppenheimers lebten seit 1740 in Rimbach, zuletzt von 1828 bis 1936 in der Brunnengasse 8. Das zuerst von Sim(s)on Oppenheimer erworbene Haus wurde bis etwa 1840 als Gebetshaus und jüdische Schule genutzt. Auch im benachbarten Haus in der Brunnengasse 6, in dem Judenschullehrer bis 1835 wohnten, fand täglich Schulunterricht statt. Wegen Platzmangel erfolgte spätestens 1840 der Umzug in den Heinzenwiesenweg und der Neubau der Synagoge 1835 bis 1840 in der Schloßstraße 7- 9.

Boykott von Geschäften

Isidor Oppenheimer erwarb 1912 das Haus Brunnengasse 8. Er kämpfte für Deutschland im Ersten Weltkrieg und wurde 1914 in Frankreich an der Marne schwer verwundet, jedoch nicht lebensgefährlich. Daraufhin kam er bis 1920 in französische Gefangenschaft. Sein achtjähriger Sohn Fred hatte ihn fast sechs Jahre lang nicht gesehen. Der Heimkehrer wurde am Rimbacher Bahnhof von vielen Menschen begrüßt. Doch bald wendete sich die Stimmung gegen die Juden.

Ab 1920 gab es schon Drohbriefe gegen die Familie Wetterhahn. Zur Zeit des Hitlerputsches 1923 wurden Fenster eingeschlagen und der jüdische Friedhof geschändet. Klara Oppenheimer wurde einmal von einem Nazi mit Gewehr zum Rimbacher Rathaus gebracht, damit sie für eine andere jüdische Familie, die kein Geld hatte, die Ortssteuer zahlen sollte. Bereits wenige Wochen nach der Machtübernahme Adolf Hitlers wurde am 1. April 1933 die erste staatliche Judenverfolgung organisiert.

Es kam auch in Rimbach zum Boykott jüdischer Geschäfte, jüdischer Waren, jüdischer Ärzte und jüdischer Rechtsanwälte. Acht Rimbacher Juden wurden von der Gestapo Darmstadt verhaftet und vorübergehend in das KZ Osthofen verbracht. Das wiederholte sich im Oktober 1933. Zweimal mussten Fred und sein Vater Isidor in den Wald flüchten, denn es hieß, dass das Überfallkommando des KZ Osthofen noch zwei Mann holen wolle. Isidors Geschäft war in der Handelskammer eingetragen, er wurde aber bald dort hinausgeworfen.

1934 in die USA

Fred Oppenheimer wurde am 15. Mai 1912 geboren. Er war Schüler in der von Juden mitgegründeten Rimbacher höheren Bürgerschule und besuchte anschließend bis zur Mittleren Reife die Obere Realschule in Heppenheim. Ab 1927 absolvierte er eine dreijährige kaufmännische Lehre in einem Darmstädter Kaufhaus und war danach zwei Jahre lang Verkäufer im dortigen Geschäftshaus Rehfeld, Ludwigstraße 15. 1932 wechselte er zur Hemdenfabrik Hess & Stern und arbeitete dort als Lagerist.

Bald nach dem Boykott wurde er jedoch entlassen. Da er ahnte, was auf die Juden zukam, wanderte er am 23. Februar 1934 in die USA aus, zunächst ohne seine Eltern. Dort lebte eine Schwester seiner Mutter. Durch die damals schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse in den USA konnte er keine Stelle als Kaufmann finden; fast alle Verwandten in New York hatten Metzgereien, und so sattelte er um und wurde Metzger.

Schon nach zwei Jahren hatte er sein eigenes Geschäft, sodass er seine Eltern am 28. Februar 1936 nachholte. Ihr Haus in der Brunnengasse wurde 1935 von Georg Schmitt XIV. erworben. 1939 heiratete Fred, wurde Vater eines Sohnes undin die US-Army eingezogen. Er kämpfte gegen die Japaner auf den Philippinen. 1946 kam er wieder nach Hause, und schon bald wurden ein zweiter Sohn und eine Tochter geboren. Isidor Oppenheimer starb 1957 mit 78 Jahren in New York. Seine Mutter wurde über 100 Jahre alt (OZ, 7. Mai 1989). 1970 unterbrachen Fred und seine Frau Hilda eine Reise in die Schweiz und waren für etwa drei Stunden in Rimbach. Sie besuchten den jüdischen Friedhof, der in einem schlechten Zustand war. Das Paar war froh, dass die frühere Synagoge eine katholische Kirche geworden war. Sie wünschten sich jedoch, dass dort eine Gedenktafel angebracht wird, die an die Synagoge erinnert. Das ist mittlerweile geschehen.

Einladung zur Gedenkwoche

Weitere 16 Jahre vergingen, bis Gebhard sich in der Zeitung „Aufbau“ meldete; ein Komitee bereitete eine Gedenkwoche vor, die im November 1988 an den 50. Jahrestag der Reichspogromnacht erinnerte. Ehemalige Rimbacher Juden wurden dazu eingeladen. Dr. Izchak Yanai, der vor seiner Emigration 1933 nach Israel Ernst Weichsel hieß und in der Rathausstraße 11 wohnte, lehnte die Einladung ab, als er das Buch über die Geschichte der Rimbacher Juden gelesen hatte und damit erfuhr, wie die jüdische Gemeinde Rimbachs behandelt und ausgelöscht wurde.

Auch Fred war zunächst skeptisch. Er käme nur, schrieb er, wenn der Bürgermeister und die Mehrheit der Rimbacher damit einverstanden seien. Er befürchtete, beleidigt zu werden, und verwies auf seine früheren Schulkameraden: Sie mussten doch Jahrestreffen organisiert haben. Warum war er nicht eingeladen worden?

Oppenheimer wog ab. Auf der einen Seite stand die furchtbare Vergangenheit, und auf der anderen waren junge, unschuldige Menschen, die wissen sollten, was ihre Großväter angerichtet hatten. Schließlich kam er 1988 doch nach Rimbach und war beeindruckt. Gleich nach der Rückkehr schrieb er aus Florida, seinem neuen Wohnort. Er bedankte sich für alles, was für die ehemaligen Rimbacher Juden während der Gedenkwoche getan wurde.

Insbesondere lobte er den feierlichen Gottesdienst, aber auch das Treffen mit Schülern. Seine Entscheidung sei richtig gewesen und die Jugend interessiert an den Informationen über die Vernichtungspläne der Nazis, schrieb er. Oppenheimer vermutete, dass sie von ihren Eltern kaum Informationen über Rimbacher Pogrome bekommen hatten. Er teilte mit, dass seine Frau Hilda und er den Aufenthalt in Rimbach nicht vergessen werden und lud das Ehepaar Gebhard in die USA ein.

„In der Pflicht“

Damit ist die Geschichte der Familie Oppenheimer in Rimbach noch nicht zu Ende. Denn 20 Jahre später, am 9. November 2008, waren der Sohn und seine Frau, Richard und Janice Oppenheimer aus New York in Rimbach zu Gast. Empfangen wurden sie unter anderem von Bürgermeister Hans-Jürgen Pfeiffer und Hans Altendorf, der als Zwölfjähriger Zeuge der Synagogen-Zerstörung wurde und bis zu seinem Tod Kontakt zu überlebenden Rimbacher Juden hielt.

Die Gäste nahmen an den Gedenkfeierlichkeiten zur Reichspogromnacht in der katholischen Kirche, der ehemaligen Synagoge, teil. Richard Oppenheimer bedankte sich für die Gastfreundschaft und fand versöhnliche Worte, indem er zum Ausdruck brachte, dass wir doch alle dasselbe Ziel haben, an einer besseren, gerechteren Welt mitzuarbeiten.

Hans Altendorf beendete das Treffen mit den Worten: „Wir sind bei unseren ehemaligen Mitbürgern in der Pflicht.“

von Günther Röpert.