Weinheim

Weinheimer Apothekerinnen teilen ihre Erfahrung mit dem E-Rezept

Digitalisierung finden sie super, die Umsetzung aber nicht. Wo es laut den beiden Weinheimer Apothekerinnen noch hapert.

Esther Herres Bargon setzt in ihren Apotheken bereits auf Digitalisierung. Leider funktioniert das E-Rezept aber noch nicht verlässlich. Foto: Philipp Reimer Fotografie
Esther Herres Bargon setzt in ihren Apotheken bereits auf Digitalisierung. Leider funktioniert das E-Rezept aber noch nicht verlässlich.

Seit fast drei Monaten muss man das E-Rezept verbindlich benutzen. Während Ärzte und Apotheker im Odenwald eine durchaus positive erste Bilanz zum E-Rezept zogen, fällt das Urteil bei den Apotheken in Weinheim eher verhalten aus. Apothekerin Anne Katrin Frauenkron, Inhaberin der Birken-Apotheke und Vorsitzende der Region Mannheim des Landesapothekenverbands Baden-Württemberg (LAV), macht deutlich: Wenn es sich um einen "Geradeaus-Fall handelt, funktioniert es gut. Also wenn die Technik funktioniert, der Kunde seine Karte dabei hat und so weiter". Ähnlich sieht es auch Esther Herres Bargon, Inhaberin der Rodenstein Apotheke: "Wenn das E-Rezept verlässlich funktionieren würde, wäre es eine super gute und schnelle Sache". Doch dann kommt das große Aber - denn die Technik ist keineswegs fehlerfrei. Während Frauenkron findet, dass das System noch "in den Kinderschuhen" steckt, wird Herres Bargon etwas deutlicher: Für sie ist besonders die Umsetzung "dilettantisch", gerade in der Kombination mit den momentanen Lieferengpässen gewisser Medikamente.

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Fehlerbehaftete Infrastruktur

Und tatsächlich - gerade als Herres Bargon die Fragen der Redaktion beantwortet, tritt der Fall ein, den sie moniert: Die Telematikinfrastruktur (TI), das digitale System hinter dem E-Rezept, fällt aus. Wo genau das Problem liegt, ist nicht bekannt. Hier ist die Kommunikation seitens der Serverinhaber, dem Bund, eher spärlich. Der Apothekerin sind die Hände gebunden: "Alle Patienten, die ein E-Rezept auf Ihrer Karte haben oder als QR-Code auf Papier, können ihre Medikamente jetzt nicht bekommen! Totaler Versorgungsausfall für Stunden – beziehungsweise so lange, wie der Fehler der 'wichtigen Dienste' besteht. Meist sind solche Ausfälle dann auch bundesweit". Für sie ist all das eine waschechte "Versorgungskrise". "Wir haben jetzt Patienten vor uns, die wir nicht versorgen können aufgrund technischer Unzulänglichkeiten der staatlich integrierten TI. Die Patienten sind geschockt, konsterniert, weinend, hilflos, frustriert und oder erzürnt und müssen unverrichteter Dinge wieder gehen, ohne ihre sehr wichtigen Medikamente zu bekommen". Sie ist "zornig und fassungslos über so viel Dilettantismus", denn "diese Ausfälle sind seit Beginn des Jahres beileibe nicht das erste Mal passiert". Auch Frauenkron spricht von einem "intransparenten System". Wenn ein Problem auftritt, könne man nicht sofort erkennen, woran es liegt.

Auch Anne Katrin Frauenkron sieht noch erhebliche Mängel beim E-Rezept - besonders was die Infrastruktur betrifft. Foto: Philipp Reimer Fotografie
Auch Anne Katrin Frauenkron sieht noch erhebliche Mängel beim E-Rezept - besonders was die Infrastruktur betrifft.

Digitalisierung in der Apotheke

Dennoch: Herres Bargon ist keineswegs gegen die Digitalisierung, im Gegenteil. Ihre Apotheke in der Bahnhofstraße sowie die Filiale in Lützelsachsen funktionieren bereits mit automatisiertem Lager und wegen der Umstellung auf das E-Rezept hat sie sich neue Kassen zugelegt, um zumindest seitens ihrer Apotheken "keine technischen Reibungsverluste" zu haben. Diese Aufrüstung der Hard- und Software musste zwangsläufig auch bei den Arzt-Praxen erfolgen, damit diese die E-Rezepte in der Cloud bereitstellen können. Und das sorgt für die nächsten Reibungspunkte. Während es für Apotheken eine überschaubare Anzahl an Softwareanbietern gibt, haben die Ärzte laut Frauenkron die Qual der Wahl: Aus etwa 150 verschiedenen Anbietern müssen sich die Praxen ein geeignetes Software-Paket aussuchen. Ob diese unterschiedlichen Systeme dann richtig miteinander kommunizieren, ist keineswegs gesichert.

Das automatisierte Lager der Rodenstein Apotheke zeigt: Digitalisierung kann funktionieren. Foto: Philipp Reimer Fotografie
Das automatisierte Lager der Rodenstein Apotheke zeigt: Digitalisierung kann funktionieren.

Apotheker und Ärzte müssen informieren

Auch bei der Implementierung der Umstellung auf das E-Rezept, da sind sich die Apothekerinnen einig, ging alles andere als reibungslos vonstatten. Eine Umstellung, die für Frauenkron eher einer "Umwälzung" gleicht. Beide Apothekerinnen bemängeln, dass es vom Gesundheitsministerium keine Informationskampagne gab, "das sendet ein falsches Signal", so Frauenkron. Die Aufklärung blieb an den Ärzten und Apothekern hängen, einer muss es ja machen. Besonders bei verunsicherten Kunden, "die sich darüber Sorgen gemacht haben, wie sie jetzt an ihre teils lebenswichtigen Medikamente kommen", weiß Herres Bargon. Und diesen "Aufwand ersetzt keiner", sagt Frauenkron.

Zu den vielen Faktoren, die den Start des E-Rezeptes stören, kommt auch noch erschwerend hinzu, dass bereits jetzt eine Veränderung der Kundenströme zu bemerken sei. Das hängt mit den verschiedenen Arten der E-Rezept-Signatur zusammen. Denn nach wie vor ist ein Rezept ungültig, wenn es nicht von einem Arzt signiert wurde. Der behandelnde Arzt kann das E-Rezept entweder direkt signieren, dann ist es ab sofort verfügbar, oder das Rezept per "Komfort-" oder "Stapelsignatur" freigeben. Hier signiert der Arzt auf einen Rutsch alle ausgestellten eines Tages. Das Problem hierbei: Das Rezept ist nicht sofort verfügbar, in vielen Fällen sogar erst am nächsten Tag. Dadurch fallen Synergieeffekte zwischen den Arztpraxen und Apotheken weg. Davon besonders betroffen sind Apotheken in Arzthäusern und Apotheken in der Nachbarschaft zu Fachärzten.

Das System läuft, aber leider nicht verlässlich. Das führt zu Spannungen. Foto: Philipp Reimer Fotografie
Das System läuft, aber leider nicht verlässlich. Das führt zu Spannungen.

Der Einmal-hin-alles-drin-Gedanke

"Der praktische 'Einmal-hin-alles-drin'- Gedanke, den die Patienten bei ihrem Besuch in der Apotheke neben dem Arzt immer gewohnt waren, funktioniert also nicht immer – je nach Signaturprozedere der Praxis. Das ist bei einem sofortigen Medikamentenwunsch natürlich schlecht", sagt Herres Bargon. Das kann zu einer Medikamenten- und Apotheken-Odyssee für den Kunden führen - je nachdem, wann das Rezept bereitsteht und welche Apotheke dieses gerade auf Lager hat. Denn auch Apotheken orientieren sich in ihrem Angebot an der Nachfrage der Kunden und somit am Verschreibungsverhalten der umliegenden Haus- und Fachärzte.

Eine Apotheken-Odyssee

Ein Beispiel: Eine Apotheke, die in der Nähe eines Dermatologen ist, hat meist auch viele der Medikamente, die dieser Arzt verschreiben würde, auf Lager. Verhält es sich nun so, dass dieser Arzt in seiner Praxis lediglich E-Rezepte mittels einer Stapelsignatur ausstellt, bleibt besagte Apotheke auf diesen Medikamenten sitzen - weil das Rezept noch nicht freigegeben ist. Sprich: Das spezielle Medikament ist da, aber das E-Rezept ist nicht signiert. Die Apotheke darf das Medikament nicht herausgeben. Der Kunde ist also gezwungen, auf die Freigabe zu warten. Liegt die bereits besuchte Apotheke (A) nicht im Wohnort des Kunden, entscheidet sich dieser womöglich für eine näherliegende Apotheke (B). Handelt es sich aber um ein spezielles beziehungsweise nicht alltägliches Medikament, das ihm verschrieben wurde, kann es gut sein, dass Apotheke (B) dieses Medikament nicht auf Lager hat und es erst bestellen muss - wohingegen Apotheke (A) dieses Medikament bereits auf Lager hat, weil die Apotheke sich auf die Arztpraxis eingestellt hat. Der Kunde geht erneut leer aus und muss auf das Medikament warten.

Leider selten ein "Gerade-aus-Fall": Oft streikt die Telematikinfrastruktur. Foto: Philipp Reimer Fotografie
Leider selten ein "Gerade-aus-Fall": Oft streikt die Telematikinfrastruktur.

Für Frauenkron ist klar, dass man dem System "mehr Zeit geben" muss. Beide Apothekerinnen sehen das Potenzial des E-Rezepts, doch "der Teufel steckt im Detail". An der Implementierung und der fehlenden Informationskampagne kann jetzt nichts mehr geändert werden. Doch um aus der Digitalisierung des Medikamentenrezepts noch eine Erfolgsgeschichte zu machen, muss besonders an der TI, den Signaturmodalitäten und den Servern gearbeitet werden. Nicht nur für das Wohl der Patienten, die auf die Medikamente angewiesen sind, sondern auch zum Wohle und dem Weiterbestand der lokalen Apotheken.