Alkohol

"Nach vier Wochen haben wir uns an den Verzicht gewöhnt"

Rund vier Millionen Menschen in Deutschland sind alkoholabhängig oder trinken Alkohol regelmäßig in schädigenden Mengen. 40.000 Menschen sterben jährlich an den Folgen. Der Heidelberger Alkoholforscher Professor Helmut Seitz erklärt, warum bereits eine kurze Pause dem Körper Entlastung bringt.

Ein Gläschen am Abend schadet nicht? Doch, sagt der Alkoholforscher Helmut Seitz. Foto: Canva Design
Ein Gläschen am Abend schadet nicht? Doch, sagt der Alkoholforscher Helmut Seitz.

Sehr geehrter Herr Professor Seitz, viele Menschen, die regelmäßig Alkohol trinken, versuchen Pausen einzulegen. Zum Beispiel zu Beginn des Jahres im "Dry January" oder in der Fastenzeit von Aschermittwoch bis Ostern. Ist es sinnvoll, für vier Wochen auf Alkohol zu verzichten?

WNOZ WhatsApp-Kanal

Die Weinheimer Nachrichten und Odenwälder Zeitung auf WhatsApp! Aktuelle Nachrichten aus deiner Region. Die Top-Themen jeden Mittag frisch auf dem WhatsApp-Kanal.

Impressum

Ja, es ist sehr sinnvoll. Es spielt auch keine Rolle, dass es „nur“ vier Wochen sind. Denn ein „Dry January“ funktioniert nur für gesunde Menschen. Alkoholtrinkende Menschen, die eine Abhängigkeit haben, die können nicht verzichten, sie müssen trinken. Wenn sie trotzdem versuchen zu verzichten, stellen sich nach zwei bis drei Tagen Entzugserscheinungen, das sogenannte Delirium tremens ein. Diese Menschen brauchen dann ärztliche Hilfe, sonst sterben sie. Eine Phase ohne Alkohol kann also auch eine Möglichkeit sein herauszufinden, ob man abhängig ist oder nicht. Und der Körper kann die Pause nutzen, um sich zu regenerieren.

Professor Dr. Helmut Karl Seitz Foto: Universität Heidelberg
Professor Dr. Helmut Karl Seitz

Viele Menschen belohnen sich mit einem „Feierabendbier“ oder einem Glas Wein nach einem stressigen Arbeitstag und wollen auch aus diesem Grund ungern verzichten.

Tatsächlich ist Alkohol nur eine Pseudo-Belohnung. Das Glückshormone Dopamin und Endorphine werden zwar nach einem ersten Glas ausgeschüttet, bereits das zweite oder dritte Glas lässt dieses beruhigende Glücksgefühl umschlagen in Depression oder Aggression.

Gibt es eine Faustregel, wie viel Alkoholkonsum problematisch ist? Ab wann gilt der Konsum als bedenklich?

Jeder regelmäßige Konsum ist nicht nur bedenklich, sondern gefährlich und schädlich.

Welche körperlichen Veränderungen lassen sich nach einem Verzicht feststellen?

"Bereits nach einer Woche Verzicht ist das Fett aus der Leber verschwunden"

Bereits nach kurzer Zeit geht es uns deutlich besser. Der wichtigste Punkt: wir schlafen besser. Alkohol hilft zwar beim Einschlafen, dafür wachen wir ab 2 oder 3 Uhr auf und können nicht mehr einschlafen. Denn dann wird das Stresshormon Adrenalin ausgeschüttet und verhindert, dass wir erholsam durchschlafen. Ohne Alkohol sind wir morgens ausgeruhter, fitter, erholter. Langfristig kann sich der ganze menschliche Organismus erholen, in allen Bereichen. Allem voran natürlich die Leber, das Organ, in dem 90 Prozent des Alkohols verstoffwechselt wird. Aus einer Fettleber kann sich eine Fibrose und später eine Leberzirrhose entwickeln. Doch ist die Leber „nur“ eine Fettleber, kann sie sich vollständig regenerieren. Bereits nach einer Woche ist das Fett aus der Leber verschwunden. Das zieht weitere positive Faktoren nach sich: Der Fettstoffwechsel wird gelenkt, man verliert Gewicht, das Hautbild verbessert sich. Positiv ist auch: nach vier Wochen haben wir uns an den Verzicht gewöhnt, wir wollen dann gar nicht mehr so viel trinken.

Alkohol wird als Zellgift bezeichnet, wo genau richtet der „Genuss“ Schäden im Körper an?

Regelmäßiger Konsum ist Auslöser zahlreicher schwerer Erkrankungen. Leberzirrhose, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Herzmuskelerkrankungen, Bluthochdruck, Krebserkrankungen, Entzündung der Bauchspeicheldrüse und Entzündung der Magenschleimhaut und natürlich Übergewicht. Alkohol gilt zudem als ein wichtiger Risikofaktor für Brustkrebs bei Frauen.

Für Menschen, die regelmäßig Alkohol konsumieren, können vier Wochen sehr lang sein. Haben Sie Tipps, um durchzuhalten?

Wenn der Verzicht sehr schwerfällt und nicht aus eigenem Willen durchgehalten werden kann, dann handelt es sich um ein „echtes“ Alkoholproblem. Da helfen keine Tipps, sondern nur der Besuch beim Arzt.

"Studien, die aussagen, dass ein Glas Wein am Tag nicht schädlich sei, sind längst widerlegt. Jeder Alkohol ist schädlich"

Es gibt Studien, die belegen, dass ein Glas Wein am Tag nicht schädlich, sondern sogar gesundheitsfördernd ist

Diese Studien sind längst widerlegt. Jeder Alkohol ist schädlich. Aber wir leben in einer Gesellschaft, in der Alkohol als soziales Schmiermittel geschätzt wird, als Kulturgut, wenn Sie so wollen, akzeptiert wird. Und die deutsche Alkoholindustrie ist sehr mächtig. Um den Konsum einzuschränken, helfen keine Verbote oder Regularien, das würde – wie Beispiele aus der Geschichte zeigen – zu steigender Kriminalität führen. Stattdessen müssten die Preise deutlich angehoben werden, die Reklame verboten und die Menschen ermutigt werden, regelmäßige Pausen zu machen. Zum Beispiel in der Fastenzeit. Oder im „Dry January“. Generell gilt: zwei alkoholfreie Tage pro Woche verschaffen der Leber eine kleine Verschnaufpause. Besser wären Trinkpausen von einer oder mehreren Wochen, damit sich das Organ gemeinsam mit dem Rest des Körpers vom Alkohol und den Belastungen durch den Alkoholabbau regenerieren kann.