Birkenau

Als das Rathaus in Birkenau noch eine Farbenfabrik war

Ein Briefkopf aus dem Jahr 1895 zeigt eine fantasievolle Darstellung, wie Gemeindearchivar Günter Körner erklärt.

Unser Bild zeigt eine Zeichnung der Farbenfabrik Birkenau 1895, die der Fantasie entsprungen ist und die mit der Realität recht wenig zu tun hat. Damals war es üblich, auf Briefköpfen mit solchen Ansichten für Produktionsstätten Reklame zu machen, wie Gemeindearchivar Günter Körner erklärt. Foto: Gemeindearchiv
Unser Bild zeigt eine Zeichnung der Farbenfabrik Birkenau 1895, die der Fantasie entsprungen ist und die mit der Realität recht wenig zu tun hat. Damals war es üblich, auf Briefköpfen mit solchen Ansichten für Produktionsstätten Reklame zu machen, wie Gemeindearchivar Günter Körner erklärt.

Das jetzige Birkenauer Rathaus hat eine bewegte Vergangenheit. Ursprünglich um 1820 als Mühle erbaut, späterhin als sogenannte Brennersmühle bezeichnet, diente sie als Farbenfabrik, Kunstlederfabrik und Erholungsheim der Fa. Cornelius Heyl in Worms. Im Jahr 1911 erfolgte eine grundlegende Umplanung für einen Umbau als Erholungsheim. Planender Architekt war damals Heinrich Metzendorf, der etwa in Heppenheim und Bensheim Jugendstilvillen plante. Durchaus ein Pfund, mit dem Birkenau wuchern kann.

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Doch zurück zur sogenannten Farbenfabrik. Im September 1887 wurde Rudolf Rücker aus Weinheim Eigentümer. Er entschloss sich, eine Farbenfabrik zu etablieren. Rücker installierte in Folge eine „Ionovalische Turbine“. Der Zweck dieser Turbine wird wie folgt beschrieben: „In dem Triebwerk (der Mühle) werden fünf Gänge eingerichtet. Die Mühlgänge werden zur Herstellung schwerer Farben wie Ocker usw. verwendet. Die schwarze Farbe soll durch Vermahlen von Braunkoks in gut verschlossenen Zylindern auf trockenem Wege gewonnen werden. Das Produkt enthält keine schädlichen Substanzen“.

An Aktiengesellschaft verkauft

Zwei Jahre später wurde die Farbenfabrik an eine Aktiengesellschaft in Ludwigshafen verkauft. Dahinter verbargen sich die späteren „Farbwerke Birkenau, Dr. Stutzmann“. Am 30 Mai 1895 wurde die Firma aus dem Register des Amtsgerichts Fürth gelöscht. Dr. Stutzmann hatte von 1892–1894 eine karnevalistische Gesellschaft, einen Vorgängerverein des BCV gegründet. Ab der Jahresmitte 1895 waren die Betreiber die Farbenwerke Weinheim. Es wurde ein neuer Dampfkessel der Fa. Lanz Mannheim installiert, der besonderen Sicherheitsstandards entsprach, da er bis zwölf Atmosphären Druck aushalten musste.

Im Jahr 1898 übernahmen die Vereinigten Farbenwerke GmbH mit Sitz in Dürkheim den Betrieb. Zum 15. Juni 1899 wurde diese Fa. an den Meistbietenden versteigert. Mit angeboten wurden unter anderem 21 500 Kilo Farben, 6500 Kilo Holzkohlen und 500 Kilo Steinkohlen. In ruhigeres Fahrwasser kam das Anwesen erst zum Jahresende 1900 als der finanzkräftige Unternehmer Cornelius Heyl Eigentümer wurde.

Fantasie versus Realität

Am 10. Juli 1895 richten die „Vereinigten Farben-Fabriken Weinheim“ ein Schreiben an das Großherzogliche Kreisamt in Heppenheim. Darin geht es um das amtliche Prüfergebnis eines Dampfkessels. Der Briefkopf, zeigt wie damals üblich, die beteiligte Firma, in diesem Fall gleich mit drei Abbildungen: „Fabrik in Birkenau, vormals Dr. E. Stutzmann, das Bergwerk Erpolzheim und die Fabrik in Dürkheim, vormals Zumstein Erben“. Von besonderem Interesse ist dabei die Fabrik in Birkenau, die aus einem größeren Industriekomplex besteht, was mit der damaligen Realität kaum etwas zu tun hat. Dennoch ein interessantes Zeitzeugnis, wenn man dies mit Originalansichten aus dieser Zeit vergleicht.

Das jetzige Birkenauer Rathaus, so wie man es kennt, hat eine bewegte Vergangenheit. Foto: Thomas Rittelmann
Das jetzige Birkenauer Rathaus, so wie man es kennt, hat eine bewegte Vergangenheit.

Das Grundstück scheint etwas größer als die heutige Gemeindeverwaltung zu sein. Zu sehen ist eine Eisenbahnbrücke über die Weschnitz. Also ein Gleisanschluss an die zum 1. Juli 1895 in Betrieb genommenen Weschnitztalbahn. Eine Dampflok mit drei Güterwaggons quert gerade die Eisenbahnbrücke. Im rückwärtigen Teil ein größeres Produktionsgebäude mit Schornstein, das mit viel Fantasie mit dem damaligen Baubestand in Einklang gebracht werden kann. Weiter zu sehen sind zahlreiche Gebäude, die Produktionsstätten, und Möglichkeiten zur Lagerung der Fertig- und Rohprodukte. Allesamt der Vorstellungskraft des beauftragten Künstlers entsprungen. Man wollte damit den potentiellen Geschäftspartnern signalisieren, „wir sind ein leistungsstarkes und innovatives Unternehmen“.

Man könnte auch „mehr Schein als Sein“ dazu sagen. Tatsächlich war damals neben dem heutigen Rathaus in Richtung Sackgasse eine Art Verwaltungsgebäude, das vor wenigen Jahren abgerissen wurde. Zumindest bot die kurzlebige Farbenfabrik Arbeitsplätze für die damalige Birkenauer arbeitsfähige Einwohnerschaft.