Medizin

Stammzellenspende bei der DKMS: Nicole erzählt, wie es ist, ein Leben zu retten

„Mund auf, Stäbchen rein, Spender sein.“ – Das ist das Motto der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS). Die Registrierung ist also schnell erledigt. Wie geht es aber weiter, wenn tatsächlich das Telefon klingelt? Die Cousine unserer Reporterin erzählt.

Im Sommer 2023 spendete Nicole Spilger ihre Stammzellen. Damit rettete die Rimbacherin einer ihr unbekannten Person das Leben. Foto: Fritz Kopetzky
Im Sommer 2023 spendete Nicole Spilger ihre Stammzellen. Damit rettete die Rimbacherin einer ihr unbekannten Person das Leben.

Es ist ein ganz normaler Nachmittag, als das Handy von Nicole Spilger klingelt. Die Nummer auf dem Display ist der jungen Frau aus Rimbach nicht bekannt. Sie nimmt ab, meldet sich mit ihrem Namen. Was sie dann hört, kann sie kaum glauben. Am Telefon meldet sich die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS). Schon vor Jahren hatte sich die Cousine der Autorin dort registriert, um möglicherweise eines Tages für eine Stammzellspende zur Verfügung stehen zu können. Doch die meisten hören dann nie wieder etwas von der DKMS. Das ist kein Wunder, denn die Wahrscheinlichkeit, seinen „genetischen Zwilling“ zu finden, ist verschwindend gering. Die Stimme der Frau am Telefon ist ruhig und freundlich: „Frau Spilger, ich rufe Sie an, weil Sie als Stammzellspenderin infrage kommen. Sind Sie dazu noch bereit?“ Gerade noch hatte sie sich damit beschäftigt, was sie heute zu Abend essen will, jetzt soll sie entscheiden, ob sie versuchen wird, ein Leben zu retten.

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Doch ja, sie ist bereit, zu spenden. Aber zunächst hat sie wahnsinnig viele Fragen, jetzt, wo es so ernst wird. Es stellt sich aber schnell heraus, dass das kein Problem werden soll. Die Ansprechpartnerin am Telefon nimmt sich alle Zeit der Welt für Rückfragen.

Im ersten Gespräch

Nicole setzt sich. Einer der wichtigsten Punkte ist zunächst, direkt im ersten Gespräch zu klären, ob tatsächlich keine Umstände bestehen, die eine Spende verhindern könnten. Es ist von höchster Priorität, dass durch eine Spende keine Risiken für die Spenderin und den Empfänger bestehen. Deshalb muss Nicole zunächst zahlreiche Fragen beantworten, über eine mögliche Schwangerschaft, von Vorerkrankungen bis Impfungen und Reisen innerhalb der letzten Jahre. Bei komplizierteren Detailfragen hält die Frau am Telefon direkt Rücksprache mit Ärzten.

In dieser Zeit hängt Nicole dann in einer Warteschleife. Es läuft „Lifesaver“ von Sunrise Avenue. Die Worte Samu Habers treffen dabei mitten ins Herz, als sei er eine Stimme für die an Blutkrebs erkrankte Person: „I’m fighting too hard to win. Back on the ground again. I feel like giving in. But you’re my second win.“ Auf Deutsch bedeutet das sinngemäß: „Ich muss so hart kämpfen und würde am liebsten aufgeben, aber du bist meine zweite Chance.“

Unweigerlich beginnt sie, darüber nachzudenken, wer die Person wohl ist, die nun ihre Hilfe benötigt. Diese Person, die nun auf sie als „Lifesaver“, als Lebensretterin, angewiesen ist. Ihr schießen Bilder in den Kopf von Familienmitgliedern, wie sie sich möglicherweise in die Arme fallen werden, wenn sie davon hören, dass es eine Chance auf ein Weiterleben für ihren lieben Angehörigen gibt. Nicole fühlt sich in ihrem Vorhaben bestärkt. Was sie noch nicht weiß: Was mit wenigen Minuten begonnen hat, wird eine Verbindung fürs Leben werden.

Letzte Voruntersuchung

Das Ergebnis des Erstgesprächs: Einer Spende würde zunächst nichts im Wege stehen. Im nächsten Schritt muss in der sogenannten Bestätigungstypisierung überprüft werden, ob das genetische Material tatsächlich identisch ist. Dies dient dem Schutz des Patienten. An dieser Stelle des Verfahrens wird das Blut zusätzlich auch auf Erreger wie HIV oder Hepatitisviren geprüft. Nicole ist in diesen ganzen Prozess nicht eingebunden. Die 25-Jährige muss lediglich einmal kurz zum Hausarzt, um sich Blut abnehmen zu lassen.

Kosten trägt sie übrigens keine. Arztbesuche, Arbeitsausfall, Krankheitstage, Anfahrt und Unterkunft: Alles, was mit ihrer Spende zusammenhängt, wird ausnahmslos von der DKMS bezahlt. Nach wenigen Tagen bekommt Nicole den entscheidenden Anruf. Sie ist die sagenumwobene Nadel im Heuhaufen. Die Spende soll stattfinden.

Es gibt zwei Methoden, um Stammzellen zu entnehmen.

  1. die Entnahme von Stammzellen aus dem peripheren Blut
  2. die Entnahme von Stammzellen durch Punktion des Beckenkamms

Nur für die zweite Variante, die berühmte Knochenmarkspende, ist eine Operation vonnöten. Die erste Variante wiederum ist nur mit einem ambulanten Eingriff verbunden. Nach Angaben der DKMS reicht eine Entnahme aus dem peripheren Blut, dem sich im Kreislauf befindenden Blut, in 90 Prozent der Fälle aus, so auch bei Nicole. Deshalb sind die Spenden bei der DKMS in der Regel mit einem, maximal zwei Tagen im Krankenhaus verbunden. Eine Übernachtung ist nicht notwendig.

Vorbereitung und Hilfe

Von der definitiven Zusage bis zur Spende selbst vergehen noch einige Wochen. In dieser Zeit wird sie von Freunden, Kollegen und Familie häufig gefragt, ob sie denn wissen wollen würde, wer die Person eigentlich ist, der sie ihre Stammzellen zum Weiterleben zur Verfügung stellt. Wie sie heißt, was sie in ihrem Leben macht, wer ihre Familie ist, wo auf der Welt sie lebt, was sie denkt, was sie fühlt.

Dabei ist sich Nicole relativ sicher. Sie würde diesen Menschen gerne kennen. Doch ihr ist auch bewusst, dass das vielleicht nicht auf Gegenseitigkeit beruhen könnte. Würde man sich vielleicht für immer schuldig fühlen? Oder so, als könnte man dieser Person niemals gerecht werden?

Vier Tage vor der Spende beginnt die Behandlung. Einmal am Tag muss sich Nicole den Botenstoff G-CSF unter die Haut spritzen, der die körpereigene Stammzellproduktion anregt. Der Wachstumsfaktor, der durch das Medikament entsteht, ist völlig natürlich und wird vom Körper auch selbst veranlasst, beispielsweise bei Infektionen. Er bewirkt, dass Stammzellen vom Knochenmark in das periphere, also in das sich im Kreislauf befindende Blut übergehen. Zunächst hatte sich Nicole große Sorgen darüber gemacht, ob sie sich selbst eine Spritze geben könnte. Glücklicherweise zeigte ihr ein Arzt, wie es funktioniert, sodass sie sich die Spritzen sogar selbst geben konnte. Zu ihrer eigenen Überraschung funktionierte das sehr gut. Überwindung habe es sie aber natürlich dennoch gekostet, gibt sie offen zu.

Neben der medizinischen Vorbereitung mittels des Botenstoffs G-CSF gibt es weitere Dinge, die vor der Spende organisiert werden sollten. Stammzellen zu spenden bedeutet auch, für die betreffenden Tage oder den betreffenden Tag nicht zur Arbeit gehen zu können. So muss auch Nicole ihren Arbeitgeber über die Spende informieren und ihn bitten, sie dafür freizustellen. Das sei bei ihr aber überhaupt kein Problem gewesen, erzählt sie zufrieden. Ihr Arbeitgeber habe sich über die Nachricht gefreut und eine Stammzellspende sehr befürwortet. Das Formular zur Freistellung, das sie von der DKMS bekommen hatte, war schnell unterschrieben.

Der Tag der Wahrheit

Am Morgen des Spendetags frühstückt Nicole ausgiebig und macht sich dann am Vormittag in bequemer Kleidung auf den Weg von Rimbach nach Mannheim. Sie wird von einer Freundin gefahren und später auch wieder abgeholt. Beim Gebäudekomplex des Deutschen Roten Kreuzes, angekommen fällt ein großes Schild auf. „Eingang für Lebensretter“. Der Ort ist ihr schon bekannt, sie kennt ihn von den Voruntersuchungen, und auch die für sie zuständige Krankenschwester lernte sie an diesem Tag schon kennen. Sie wird herzlich begrüßt. Geht es ihr heute gut? Ist sie vielleicht krank oder erkältet? Auch über mögliche Sorgen und Ängste kann Nicole mit den Ärzten und Krankenschwestern sprechen.

Kann sie es sich jetzt eigentlich noch anders überlegen und doch nicht spenden? Jein. Prinzipiell kann Nicole jederzeit sagen, dass sie doch nicht spenden möchte. Sie kann die Spende sogar abbrechen. Allerdings wird nach der Zusage der Spenderin und dem Feststehen des Spendetermins auch der Spendenempfänger medizinisch für die Spende vorbereitet, indem sein Immunsystem durch die sogenannte „Konditionierung“ heruntergefahren wird. Durch eine hochdosierte Chemotherapie wird das körpereigene Knochenmark des Patienten, das für die Blutbildung verantwortlich ist, zerstört. Sollten die Stammzellen dann doch nicht bei ihm ankommen, kann das im schlimmsten Fall zum Tod führen. Deshalb werden Spender darum gebeten, sich ihre Entscheidung gut zu überlegen und sie dann auch durchzuziehen.

Ein Abbruch kommt für Nicole aber gar nicht infrage. Sie ist fest entschlossen. Die Krankenschwester führt sie in einen Raum, der etwas abgelegen von der alltäglichen Blutspende lokalisiert ist. Es liegt bereits ein weiterer Stammzellspender im Raum. Gelbe Vorhänge sorgen für die nötige Privatsphäre, Tageslicht erfüllt den Raum. Nicole nimmt auf der Liege Platz, auf der sie die kommenden fünf Stunden verbringen wird. Sie gesteht, dass sie von der Länge und der Dicke der Nadeln doch etwas entsetzt ist. Eine der Nadeln wird in die linke Armvene eingeführt, die andere in die rechte. Neben ihr ein Monitor, der den Fortschritt der Spende dokumentiert. Nun fließt das Blut aus dem einen Arm, die Stammzellen werden abgeschöpft und ihr eigenes Blut fließt über den anderen Arm direkt wieder zurück in den Körper

Lächelnd tritt sie ihre Stammzellenspende beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Mannheim an. Foto: Privat
Lächelnd tritt sie ihre Stammzellenspende beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Mannheim an.

Mit der Zeit wird Nicole etwas schwächer. Die Zirkulation des Bluts ist anstrengend. Ab und an piept der Monitor. Das bedeutet, dass die Geschwindigkeit der Blutzirkulation zu niedrig ist. Nicole muss über die Spende hinweg mehrmals den schwarzen Knetball in ihrer Hand zusammendrücken, damit die Bewegung ihrer Muskeln neben den Venen das Blut wieder in Schwung bringt. Es fällt ihr schwer, zu beschreiben, wie sie sich fühlt. Die Arme schmerzen und die Nadeln nimmt sie als Fremdkörper deutlich wahr. Obwohl die Spende insgesamt doch auch strapazierend ist, fühlt Nicole sich durchgehend wohl. „Mir wird wirklich jeder Wunsch von den Lippen abgelesen“, bemerkt sie anerkennend.

Zwischendurch bekommt sie calciumhaltige Getränke und vor allem sehr viel Zuspruch und ermutigende Worte. Auch die Tatsache, dass ihr Zimmernachbar ganz entspannt auf seinem Platz liegt, motiviert sie, durchzuhalten. Nach ungefähr fünf Stunden ist es dann auch geschafft. Ihre Stammzellen, gesammelt als eine Art lachsfarbenes Präparat in einem kleinen Beutel, werden auf den Weg ins Unbekannte gebracht. Nicole fasst ihre Erfahrung zusammen.

„Es ist Wahnsinn, wie niedrig der Aufwand für mich im Grunde war, um ein Menschenleben zu retten. Im Vergleich zu dem, was die an Blutkrebs erkrankte Person durchmacht, ist das nichts. Ich würde es jederzeit nochmal machen.“

Wieder zu Hause angekommen, legt Nicole sich erst mal hin und ruht sich aus. Recht schnell kommt sie wieder zu Kräften.

Zwei Herzen schlagen höher

Einen Tag später klingelt erneut das Telefon. Die DKMS hält Nicole nun auf dem Laufenden darüber, was mit ihren gespendeten Stammzellen passiert. Sie bekommt wenige, aber bewegende Informationen. Die Transplantation hat in den Niederlanden stattgefunden, die erkrankte Person ist über 30 Jahre Jahre alt und weiblich. Die DKMS bleibt mit ihr in Kontakt, fragt ab, wie es der frisch gebackenen Spenderin geht und interessiert sich weiterhin für ihre Gesundheit. Sie bieten auch Unterstützung unabhängig von der Stammzellspende an.

Fünf Monate später folgt eine weitere Nachricht der DKMS – einer der womöglich bewegendsten Nachrichten, die Nicole in ihrem Leben erhalten haben wird. Sie erreicht sie in Form einer Mail, Betreff: "Ein Brief für Sie". Es ist eine anonyme Nachricht der ihr unbekannten Frau. Sie schreibt von ihrem Krankheitsverlauf und schlussendlich auch von ihrer Heilung. Leider kann Nicole den Brief nicht in der Öffentlichkeit zeigen, denn Spenderin und Empfängerin dürfen einander nicht kennenlernen. In Deutschland wäre eine Kontaktaufnahme nach ein paar Jahren erlaubt. In den Niederlanden aber ist die direke Kontaktaufnahme untersagt.

Die anonyme Geheilte überschüttet Nicole mit ihrer Dankbarkeit und bedauert, dass es keinen Weg gibt, sich persönlich auszutauschen. Was schlussendlich aber zählt, ist, dass die Stammzellen ihre Arbeit getan haben. Ob sozialer Kontakt oder nicht, Nicole und die unbekannte Frau in den Niederlanden werden für immer miteinander verbunden sein.

Du möchtest dich auch bei der DKMS registrieren lassen? Dann los! Du kannst aus gesundheitlichen Gründen nicht spenden oder traust dich vielleicht nicht? Das ist kein Problem, es ist dein Körper und deine Entscheidung. Vielleicht möchtest du die DKMS auch über eine Geldspende unterstützen.

Ganz konkret findet außerdem am Sonntag, den 18.2.24, eine Typisierungsaktion für Stephanie Kohlmann-Mechnig aus Nieder-Liebersbach statt.