Streik

Fahrerstreik geht trotz erster Zahlungen weiter

Die ersten der streikenden Fernfahrer an der südhessischen Raststätte Gräfenhausen sind in Feierstimmung: Endlich wurde ihr ausstehender Lohn überwiesen. Ihr Kampf geht weiter - und wird auch Thema im Europaparlament.

«Wir streiken» steht während eines Polizeieinsatzes auf der Raststätte Gräfenhausen auf Lkw. Foto: Sebastian Gollnow/dpa
«Wir streiken» steht während eines Polizeieinsatzes auf der Raststätte Gräfenhausen auf Lkw.

Gräfenhausen/Brüssel (dpa/lhe) - Dass Erkinjon gute Nachrichten hat, ist dem usbekischen Lastwagenfahrer schon von weitem anzusehen, als er über den Parkplatz der Autobahnraststätte Gräfenhausen eilt. Triumphierend schwenkt er das Handy, blickt immer wieder auf die eingegangene Nachricht - dann fällt er dem niederländischen Gewerkschafter Edwin Atema um den Hals: «Es ist da, das Geld ist da!»

Der schmächtige Usbeke und mehr als 60 seiner Kollegen harren bereits seit mehr als drei Wochen auf der südhessischen Raststätte an der A5 aus, um ausstehenden Lohn von ihrem polnischen Auftraggeber einzufordern. Seit dem Wochenende ist Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen gekommen: Der Speditionsunternehmer hat mit ersten Zahlungen begonnen. In einem der Lastwagen ist ein provisorisches Büro mit Mitgliedern der Europäischen Transportarbeitergewerkschaft entstanden, wo genau Buch geführt wird: wer hat schon wie viel bekommen, wer wartet weiter auf Geld?

Die Fahrer betonen, sie wollen sich nicht auseinanderdividieren lassen. Alle bleiben in Gräfenhausen, bis auch der letzte sein Geld erhalten hat, versichern sie. Unterdessen fährt ein polnischer Lastwagen durch die Gasse der mehr als 60 Lastwagen der Autobahn zu. Mit langgezogenem Hupen und winkend gibt der Fahrer ein Zeichen der Solidarität und Unterstützung - wie so viele, die hier vorbeikommen.

Längst ist der Protest weit über die Region bekannt. Atema, der früher selbst Fernfahrer war, ist Chefunterhändler der Fahrer. Diplomaten und Gewerkschafter ihrer Heimatländer Georgien, Usbekistan und Kirgistan kamen vorbei, in Tiflis und Warschau gab es Solidaritätskundgebungen. Bundestags- und Landtagspolitiker unterstützten den Protest. Am Montag informieren sich die Europaabgeordneten Gaby Bischoff (SPD) und Agnes Jongerius (niederländische Arbeitspartei) vor Ort über die Situation der Fahrer.

Bischoff fordert mehr Kontrollen im grenzüberschreitenden Güterverkehr, um nicht nur Verstößen gegen Fahrzeiten, sondern auch gegen Arbeitsbedingungen besser auf die Spur zu kommen. «Es darf nicht sein, dass wir solche Ausbeutungsverhältnisse auf europäischen Straße haben», sagt sie nach dem Treffen mit den Fahrern und den sie unterstützenden Gewerkschaftern aus Deutschland, den Niederlanden und Belgien. «Jeder, der hier arbeitet, hat einen Anspruch auf einen anständigen Lohn.» Die Männer leisteten auf den Straßen Europas einen «Knochenjob», sagte sie.

Es müsse viel mehr Aufmerksamkeit für die Arbeitsbedingungen auf dem europäischen Arbeitsmarkt geben, betont Bischoff. «Jeder, der in Europa arbeitet, braucht anständige Arbeitsbedingungen und anständige Löhne», versichert sie den Fahrern. Von den prekären Arbeitsverhältnissen etwa im internationalen Güterverkehr sei oft nur die Spitze des Eisbergs zu sehen.

Einige Beispiele schildern die Fahrer - etwa den Fall des Kollegen, der wegen eines angeblichen Unfalls 1700 Euro zahlen soll, eines Unfalls, über den es keinerlei Dokumentation gibt. Oder der Fall eines der Streikenden, der mit gebrochenem Fuß und ohne Krankenversicherung war. Und sie appellieren, Druck im Fall jener drei georgischen Kollegen auszuüben, die bei Unfällen ums Leben kamen. Die Witwen und Kinder der Männer warteten bis heute vergeblich auf eine finanzielle Unterstützung, die der Speditionsunternehmer zugesagt habe, erzählt einer der Streikführer den Europaparlamentarierinnen.

Immerhin: Am Dienstag kommt der Fahrerstreik auf die Agenda der Generaldebatte im Europäischen Parlament, sagt Bischoff unter Beifall und Bravo-Rufen der Fahrer. Einer der Streikführer übersetzt die Nachricht ins Georgische für alle, die nicht so gut Russisch sprechen.

«Wir wollen, dass endlich was passiert - nicht nur für euch, sondern für alle anderen Kolleginnen und Kollegen auch», betont Bischoff. «Wir wollen ein soziales Europa, in dem jedes Unternehmen Verantwortung für seine Beschäftigten übernimmt», sagt auch Jongerius. Wie mit den Fahrern umgegangen werde, sei ein Verstoß gegen grundlegende Arbeits- und Menschenrechte in Europa. «Ich bin wirklich stolz auf euch, dass ihr hier aufsteht und sagt: Es reicht!»