Weinheim
„Wir sind absolut keine Kerwegegner“
Die Anwohner des Weinheimer Gerberbacherviertels, die sich in der IG „Altstadt“ zusammengeschlossen haben, wollen konstruktiv an Verbesserungen für die Kerwe mitarbeiten. Was sie sich wünschen und wie das umgesetzt werden kann.
Forderungen IG Altstadt
Reduzierung und Kontrolle des Lärmpegels entsprechend der definierten Vorgaben in der geltenden Kerwesatzung auf maximal 70 Dezibel.
Sicherstellung der Rettungswege durch Kontrolle und Begehungen in der Altstadt während der Veranstaltungszeiten.
Späterer Beginn der täglichen Straßenreinigung am Morgen.
Einrichtung eines Bürgertelefons (Hotline) für Beschwerden während der Veranstaltungstage und Sicherstellung der Erreichbarkeit während der Zeiten des Festbetriebes.
Wummernde Bässe, ohrenbetäubender Lärm, blockierte Rettungswege – für die Anwohner des Gerberbachviertels, die sich in der Interessengemeinschaft „Altstadt“ zusammengeschlossen haben, hört der Spaß an der Kerwe dort auf, wo die Fensterscheiben vibrieren, die Gläser in den Vitrinen hüpfen, wo sich die Standbetreiber mit immer lauterer Musik Konkurrenz machen und die Höfe vollgepinkelt werden, vor allem aber dort, wo die Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist. „Wir sind absolut keine Kerwegegner“, stellt Uwe Seehaus als Sprecher der IG „Altstadt“ klar und fügt hinzu: „Wir wollen die Kerwe weder abschaffen, noch sie aus der Altstadt verbannen.“
"Eine Klage ist das Letzte, was wir wollen" – Anwohner Uwe Seehaus
Ziel der Unterschriftenaktion, die von 50 Anwohnern unterzeichnet worden ist, sei lediglich, dass die in der Kerwesatzung verankerten Vorgaben eingehalten werden. Und die sehen eine Beschränkung der Lautstärke auf 70 Dezibel vor. Gerade die Kerwe 2022, die erste nach Corona, sei extrem gewesen. Das bestätigen selbst die Betreiber von Straußwirtschaften und Kerweständen. Ein neues, bisher nie da gewesenes Maß an Lärm erlebte das größte Altstadtfest an der Bergstraße durch die konkurrierende Beschallung von Standbetreibern im Versuch, sich gegenseitig zu übertreffen.
Feiern in gemäßigter Lautstärke
Uwe Seehaus, der seit 30 Jahren im Gerberbachviertel wohnt, ist klar, dass sich die Kerwe im Laufe der Zeit gewandelt hat. Früher wurde in den Höfen gefeiert, heute spielt sich mehr vor den Verkaufsständen und Cocktailbars auf den Gassen ab. „Das hat sich auf die Lautstärke ausgewirkt“, sagt der Weinheimer bedauernd. Dabei gehöre auch für die Anwohner Musik weiterhin zur Kerwe, „aber eben in gemäßigter Lautstärke“. Die IG „Altstadt“ fordert deshalb verstärkte Kontrollen durch die Ordnungsbehörde.
Die Stadtverwaltung hat – wie berichtet – bereits reagiert und die Beschallung der Gassen verboten. Das heißt im Klartext: Musikboxen dürfen nur noch in Innenräumen genutzt oder ins Innere der Höfe ausgerichtet werden. Dort, wo die Beschallung sich „überschneidet“, muss ein gemeinschaftliches Konzept vorgelegt werden.
„Das ist in unserem Sinne“, spricht Seehaus für viele seiner Nachbarn. Obwohl man hier kompromissbereit sei, was die Ausrichtung der Boxen betreffe. „Es geht uns vor allem um die Lautstärke“, sagt er und regt sogenannte „Limiter“ für Musikboxen an, die bei entsprechender Lautstärke das Tonsignal herunterregeln. Eine Idee, die in die Tat umgesetzt werden könnte, falls Kontrollen nicht zum Ziel führen.
Auch mit dem neuen Sicherheitskonzept, das eine Reduzierung von Ständen vorsieht, kann sich die IG „Altstadt“ anfreunden. Ab der Kerwe 2023 will das Ordnungsamt keine Genehmigungen mehr für Standorte erteilen, die zu einer „Bündelung“ von Menschenmassen führen könnten. Wie wichtig ein Durchkommen der Rettungskräfte selbst zu Stoßzeiten ist, verdeutlicht ein Fall an Kerwesamstag des zurückliegenden Jahres. „Ein Nachbar hatte sich mit einem Messer ins Bein geschnitten und wäre fast verblutet, da Rettungskräfte nicht zu ihm gelangen konnten. Das Rettungsfahrzeug hatte erhebliche Probleme, seine Wohnung anzufahren, um ihn ins Krankenhaus zu bringen “, schildert Seehaus das dramatische Ereignis.
Ein weiteres Thema, das den Anwohnern auf den Nägeln brennt, betrifft die Straßenreinigung am Morgen, die bereits um fünf Uhr anrückt – inklusive Kehrmaschine und Laubbläsern – und die ohnehin schon kurze Nacht nicht minder lautstark beendet. Doch das scheint das geringste Problem zu sein. Bei einem Gespräch mit Weinheims Oberbürgermeister Manuel Just wurde in Aussicht gestellt, die Reinigung einfach nach hinten zu verlegen. „Damit wäre uns schon sehr gedient“, sagt Uwe Seehaus, dem, wie den übrigen Unterzeichnern auch, sehr an einer Lösung „für alle“ gelegen ist – für die Stadtverwaltung, die Standbetreiber, die Gäste, aber eben auch für die Anwohner. Seehaus: „Wir sind konsensbereit und setzen uns gerne mit allen Beteiligten für weitere Gespräch an einen Tisch.“
Und was ist mit dem „Schreckgespenst“ einer Klage? „Das ist das Letzte, was wir wollen“, so die Aussage des Anwohners. „Was wir uns wünschen, sind vier Kerwetage mit gut gelaunten Gästen, Frohsinn und der Möglichkeit, in entsprechendem Rahmen mitzufeiern und die Kerwestimmung zu genießen.“