Jugend

Neues Haus des Jugendrechts: «Quantensprung» für Ermittler

Die Einrichtung in Hanau ist die achte ihrer Art in Hessen. Sie wurde im vergangenen September eröffnet und hat schon erste Erfolge vorzuweisen, sagen Polizei und Staatsanwaltschaft.

Zahlreiche Akten sind auf einem Schreibtisch im Haus des Jugendrechts in Hanau ausgelegt. Foto: Lando Hass/dpa
Zahlreiche Akten sind auf einem Schreibtisch im Haus des Jugendrechts in Hanau ausgelegt.

Hanau (dpa/lhe) - Gut ein halbes Jahr nach der Eröffnung des bislang jüngsten Hauses des Jugendrechts in Hessen haben Polizei und Staatsanwaltschaft in Hanau eine positive Bilanz zur gemeinsamen Arbeit gezogen. Bisheriger Höhepunkt ist nach ihren Angaben die Aufklärung einer Serie von Raubüberfällen in den vergangenen Wochen gewesen. Sieben Jugendliche und Heranwachsende sitzen mittlerweile als Verdächtige in Untersuchungshaft. Der Hauptgrund für die erfolgreiche Arbeit? «So banal das klingt: Es sind die kurzen Wege», erklärt Staatsanwalt Markus Jung.

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In den Häusern des Jugendrechts (HdJR) in Hessen arbeiten Vertreter von Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendgerichtshilfe unter einem Dach zusammen. Es werden typische Fälle von Jugendkriminalität wie Diebstahl, Körperverletzung und Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz bearbeitet. Sexual- und Kapitaldelikte sowie eine Reihe anderer Straftaten sind aber davon ausgenommen. Die Arbeit orientiert sich personenbezogen an Tatverdächtigen und nicht wie sonst bei der Polizei üblich an Delikten. Ausschlaggebend für die jeweilige Zuständigkeit ist der Wohnort eines Verdächtigen.

Das HdJR in Hanau ist achte Einrichtung dieser Art in Hessen und die erste, an der neben Justiz, Polizei und Stadt auch ein Landkreis - der Main-Kinzig-Kreis - beteiligt ist. Zudem hat es als erstes Haus einen thematischen Schwerpunkt: die Prävention von Rechtsextremismus.

Die enge Verzahnung im neuen HdJR bedeute für die tägliche Arbeit «einen Quantensprung», betont Jung. Anders als etwa in der Fernsehkrimireihe «Tatort» sei es in der Realität nämlich in der Regel nicht so, dass Polizei und Staatsanwaltschaft Büronachbarn seien und sich bei den Ermittlungen ständig abstimmten.

Bei den Ermittlungen zu den Raubüberfällen in Hanau und Umgebung sei bei der Sichtung der ersten Überwachungsaufnahmen früh der Verdacht aufgetaucht, dass die Taten von Jugendlichen oder Heranwachsenden verübt worden seien, berichtet der polizeiliche Leiter im Hanauer HdJR, Torsten Lein. Die Ermittlungen seien daher an das HdJR übergeben worden. «Die Ermittlungsarbeit im HdJR geht einfach schneller, weil man sich täglich sieht und auf kurzem Weg abstimmt», sagt der Polizist über die Kooperation mit der Staatsanwaltschaft.

«Das ist ein ganz anderes Miteinander von Anfang an gewesen», berichtet Jung. «Man sitzt schon ganz früh im Verfahren zusammen, schaut sich gemeinsam Fotos und Videoaufnahmen an und überlegt sich: Kann das passen? Was spricht dafür, dass das der Täter ist?» Gemeinsam werde überlegt, welche weitere Maßnahmen notwendig sein könnten, welche Schritte noch für einen Haftbefehl nötig seien oder wie ein Durchsuchungsbeschluss erwirkt werden könne.

Schnelles Handeln des Staates nach Straftaten

Neben Ermittlungen ist die Prävention eine weitere wichtige Säule in der Arbeit des HdJR. Die enge Kooperation von Jugendgerichtshilfe, Polizei und Staatsanwaltschaft soll dabei helfen, möglichst rasch auf strafrechtlich relevantes Verhalten von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden zu reagieren. Damit sollen dem hessischen Justizministerium zufolge kriminelle Karrieren junger Straftäterinnen und Straftäter so schnell und so erfolgreich wie möglich beendet werden.

«Bei uns ist immer der Erziehungsgedanke maßgeblich», betont Jung. Staatsanwaltschaft, Polizei und Jugendgerichtshilfe schauten sich die jeweiligen Tatverdächtigen gemeinsam an und überlegten, was getan werden könne, um die jungen Menschen wieder auf die richtige Bahn zurückzubringen. Aus erzieherischen Grünen sei es wichtig, dass zwischen Tat und staatlicher Reaktion so wenig Zeit wie möglich vergehe. Dazu könne die Staatsanwaltschaft auch ohne Anklageerhebung vorgehen und beispielsweise die Ableistung von Arbeitsstunden und die Teilnahme an einer Suchtberatung anordnen.

Berater der Jugendgerichtshilfe der Stadt Hanau und des Main-Kinzig-Kreises bieten darüber hinaus im HdJR jungen Menschen Hilfe an. Sie führen Gespräche, um die Lebenssituation der jungen Menschen besser kennenzulernen, vermitteln weiter an Beratungsstellen, Behörden und Hilfseinrichtungen und halten auch Kontakt zu Inhaftierten. Zusätzlich gibt es von einer weiteren Stelle im Haus das Angebot an Betroffene und Verantwortliche einer Straftat für einen Täter-Opfer-Ausgleich.

Vor dem Hintergrund des rassistischen Anschlags vom Februar 2020 hat das HdJR in Hanau den besonderen Auftrag, bei der Prävention gegen Rechtsextremismus mitzuwirken. Am 19. Februar 2020 hatte ein 43-jähriger Deutscher neun Menschen aus rassistischen Motiven erschossen. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Haus hätten ein besonderes Augenmerk darauf, ob es bei Ermittlungen wegen Körperverletzung oder Eigentumsdelikten irgendwelche Anzeichen für einen Zusammenhang mit rechtsextremistischem Gedankengut von Verdächtigen gebe, erläutert Lein. Das sei in der bisherigen Arbeit aber noch nicht der Fall gewesen. Konkrete rechtsextremistische Taten würden allerdings nicht im HdJR bearbeitet, sondern landeten gleich bei der Staatsschutzabteilung.