Soziales

Migration und Behinderung: Mehr Teilhabe empfohlen

Menschen mit Migrationshintergrund und Behinderungen mangelt es oftmals an Teilhabechancen am gesellschaftlichen und beruflichen Leben. Ein Forschungsprojekt hat Handlungsempfehlungen für Politik, Praxis und Forschung erarbeitet.

Kassel/Wiesbaden (dpa/lhe) - Aufenthaltsstatus, Sprachbarrieren, Ängste, Informationsdefizite: Menschen mit Behinderung und Migrationshintergrund sind oftmals mehrfach benachteiligt. Über das Zusammenspiel beider Faktoren ist bislang nur wenig bekannt. Daten hat nun das Forschungsprojekt «Verbesserung der Teilhabe von Menschen an der Schnittstelle von Migration und Behinderung in Hessen (MiBeH)» geliefert. In dem Projekt hatten die Beauftragte der Hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderung, das Hessische Sozialministerium sowie die Universität Kassel von 2017 bis 2022 zusammengearbeitet. Am Freitag wurde der Abschlussbericht in einer Online-Veranstaltung präsentiert.

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Für die empirische Studie unter der wissenschaftlichen Leitung von Manuela Westphal, Professorin für Sozialisation mit dem Schwerpunkt Migration und interkulturelle Bildung an der Universität Kassel, wurden 30 Personen mit unterschiedlichen Migrationserfahrungen und Beeinträchtigungen zu Barrieren und Ressourcen befragt. «Daraus wurden sechs Handlungsempfehlungen abgeleitet», sagte Olezia Boga, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Kassel. Im Fokus stand dabei die Frage, wie Menschen mit Migrationshintergrund und Behinderungen verbesserte Teilhabechancen am gesellschaftlichen und beruflichen Leben ermöglicht werden können.

Zum einen seien Informationen und Aufklärung durch erreichbare Anlaufstellen nötig, erläuterte Boga. Informationen kämen bei den Betroffenen oft erst spät und zufällig an. Obwohl es viele gute Leistungsansprüche, Angebote und Hilfen für die Betroffenen gebe, seien diese schwer zu erreichen. «Migrationserfahrungen können das aufgrund von Sprachbarrieren verstärken.» Angebote und Hilfen müssten stärker miteinander vernetzt und gebündelt werden. Es brauche gut erreichbare und wohnortnahe barrierefreie Anlaufstellen.

Zum anderen sei Mehrsprachigkeit und Verständlichkeit in Beratung, Versorgung und Hilfen vonnöten, erläuterte Boga. Das Fehlen mehrsprachiger Angebote bedeute eine alltägliche und institutionelle Diskriminierung der Betroffenen und verhindere soziale Teilhabe. Diskriminierung zu reflektieren und abzubauen, etwa durch die Integration von antidiskriminierenden Inhalten in der schulischen, akademischen und beruflichen Aus- und Weiterbildung, ist die dritte Handlungsempfehlung der Wissenschaftlerinnen. «Was wirklich gebraucht wird, ist eine radikale Veränderung der Strukturen und der Institutionen. Wir müssen eine inklusive Gesellschaft schaffen, die die Vielfalt und Unterschiedlichkeit aller Menschen wertschätzt», erläuterte Boga.

Überdies müssen den Autorinnen der Studie zufolge soziale Nahbeziehungen gestärkt und vermittelt werden. Familiäre Beziehungen könnten eine wichtige Rolle in der Abwendung von Exklusionsprozessen spielen, allerdings fehlten sie oft. Unter anderem müsse der Zugang zu familienunterstützenden Angeboten, die oft nicht bekannt seien, verbessert werden.

Eine weitere Handlungsempfehlung ist der Ausbau der Teilhabe an Bildung und Arbeit. Schüler mit Migrationserfahrungen bekämen häufiger eine Förderschulempfehlung, die deterministische Folgen für ihr Leben habe, sagte Boga. «Der Zugang und Verbleib im allgemeinen Bildungssystem ist für viele unerreichbar.» Eine Behinderung und Migrationserfahrung habe darauf einen verstärkenden Effekt, der dazu führe, dass die Betroffenen die Schule oft ohne Abschluss verließen.

Schließlich empfehlen die Wissenschaftlerinnen, die Migrantenselbstorganisationen und die Behindertenselbsthilfe zu verbinden und einzubinden. So könnten etwa neu zugewanderte und langjährig eingewanderte Menschen als Experten eingebunden werden. Zudem brauche es eine stärkere Vertretung von Menschen an der Schnittstelle von Migration und Behinderung in politischen Entscheidungsgremien.

Der Bericht sei ein wichtiger Impulsgeber für die Wissenschaft, die Politik und die zivilgesellschaftlichen Organisationen von Menschen mit Behinderungen sowie von Menschen mit Migrationshintergrund, sagte Anne Janz, Staatssekretärin im hessischen Ministerium für Soziales und Integration. «Bislang wurden die Themen Migration und Behinderung separat betrachtet. Um aber die volle gesellschaftliche Teilhabe dieses Personenkreises zu erreichen, müssen wir sie zusammendenken», betonte die Beauftragte der Hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderungen, Rika Esser.