Demenzbegleiter auf dem Weg ins „Anderland“
Der Weinheimer Förderverein "Leben mit Demenz" unterstützt Angehörige von Kranken mit einem ganz besonderen Kursangebot. Was es beinhaltet und was es mit Neuro-Tango auf sich hat.

„Ich habe das Gefühl, mein Mann geht verloren und mit ihm auch mein bisheriges Leben.“ Die 78-jährige Martha Berg aus Schriesheim ist Angehörige eines Demenzkranken, steht ihrem Partner, der seit acht Jahren sukzessive abbaut, zur Seite – 24 Stunden, Tag und Nacht. Martha Berg wirkt gefasst, wenn sie über die Krankheit berichtet, den Verlust der Erinnerungen, das Schwinden der geistigen Fähigkeiten. Und doch sind da eine tiefe Trauer und eine Angst vor dem, was noch kommen mag. „Man muss damit umgehen lernen, dass der Partner noch da, aber auch weg ist“, sagt sie.
Hilfe bekommt die Schriesheimerin vom Weinheimer Förderverein „Leben mit Demenz“. Er schult seit 15 Jahren Menschen, die Demenzkranke begleiten auf dem Weg ins „Anderland“, wie die Deutsche Alzheimer Gesellschaft es in ihrer Broschüre mit Informationen und Tipps nennt. Ute Hauser, Geschäftsführerin des Baden-Württembergischen Vereins, weiß: „Demenz ist noch immer ein ,Anderland‘, auch wenn wir inzwischen weit mehr über die Erkrankung wissen als noch vor einigen Jahren. Einen Menschen dorthin zu begleiten, bleibt ein ungewisser Weg.“ Einer, den sich niemand ausgesucht hat, der vor Herausforderungen nur so strotzt, auch und gerade für die Angehörigen.
Mit einem Rüstzeug an Wissen lässt sich dieser Weg leichter beschreiten. Und hier setzen die Kurse des Fördervereins „Leben mit Demenz“ an. Neun Abende in den Räumen der Stadtbibliothek Weinheim liegen hinter den Angehörigen von Erkrankten. Versierte Referenten gaben über sechs Wochen hinweg tiefere Einblicke in die Themen Validation, Ergo- und Musiktherapie, Betreuungsrecht, Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung. Aber auch der Pflegestützpunkt als Lotse ging auf die vielfältigen Fragen der Teilnehmer ein. Abgerundet wurde der Kurs von Erfahrungsberichten von Angehörigen und Betroffenen.
"Man muss damit umgehen lernen, dass der Partner noch da, aber auch weg ist" — Martha Berg, Angehörige eines Demenzkranken
Eine davon ist Marlies Brinkmann, die Zweite Vorsitzende des Fördervereins. Vater und Mutter hatten Demenz, ihr Mann ist mittlerweile ein Pflegefall. Sie weiß, wovon sie spricht. „Ich habe alle Phasen miterlebt, weiß, welche Gefühle einem begegnen“, sagt sie, „und deshalb will ich mein Wissen weitergeben.“ Ihr Ziel ist es aber auch, Mut zu machen. Marlies Brinkmann: „Wir müssen lernen, im Moment zu leben, Erwartungen wegzulassen, uns darauf einzulassen, was im Augenblick geht.“ Dann sei es auch möglich, Positives aus der Situation zu ziehen. Sie selbst hat durch ihr Engagement im Verein Sinnhaftigkeit erfahren.
Beim Abschlussabend des Kurses schlägt den Ehrenamtlichen Dankbarkeit entgegen. „Unterstützung, Vertrauen und Wertschätzung sind wesentliche Erkenntnisse, die ich aus dem Kurs mitgenommen habe“, sagt ein Teilnehmer. „Auf mich selbst zu achten und mit meinen Kräften haushalten – das habe ich gelernt“, wertet ein anderer. Bestätigung der Arbeit von Marlies Brinkmann und ihrem engagierten Team. „Mit dem Kurs wollen wir Informationen zur Krankheit vermitteln, Verständnis für Demenz-Betroffene ermöglichen, dabei unterstützen, Demenz als Daseinsweise zu akzeptieren und Wege aufzeigen, in Ruhe und Gelassenheit fürsorglich handeln zu können“, erklärt sie.
Dankbar für die Hilfestellung ist auch Guido Schmitt aus Birkenau, dessen Schwester an Demenz erkrankt ist. Er besuchte den Kurs zusammen mit seinem Bruder und lobt das Angebot: „Auf der Agenda des Kurses steht alles, was man an Infos braucht.“ Die rechtliche Seite wurde ebenso beleuchtet wie der Umgang mit den Patienten. „Mein Hauptanliegen war es, zu erfahren, wie ich die Familie unterstützen kann“, erklärt der Birkenauer. Vorgefertigte Entwürfe gibt es dafür nicht, aber Informationen, die man sich sonst mühsam im Internet zusammensuchen müsste.
Marlies Brinkmann: „Viele Menschen wissen gar nichts über unsere Aktivitäten.“ Dabei ist das Angebot vielfältig, darunter Selbsthilfe- und Gesprächsgruppen, wie sie Martha Berg in Weinheims Weststadt besucht. „Eine Möglichkeit zum Austausch, um zu merken, dass man nicht alleine ist“, sagt sie. Dazu kommen Vorträge, aber auch kreative Angebote für Angehörige und Erkrankte.
"Ich habe alle Phasen miterlebt und weiß, welche Gefühle einem begegnen" — Marlies Brinkmann, die Zweite Vorsitzende des Fördervereins „Leben mit Demenz“
Neu im Angebot: Neuro-Tango. Er ist angelehnt an den argentinischen Tango und wird genutzt als ganzheitliche Bewegungstherapie. Neuro-Tango hat sich als hilfreich bei neurologischen Erkrankungen erwiesen und kann nicht nur motorische Fähigkeiten verbessern, sondern wirkt sich auch positiv auf Stimmung, Kognition und Lebensqualität aus. Der Kurs beginnt am 29. April und wendet sich an Menschen mit Demenz und deren Partner. „Und es steht einmal nicht die Krankheit im Vordergrund, sondern die gemeinsame Bewegung zur Musik“, weiß Marlies Brinkmann um die Vorteile.
Der Weinheimer Verein „Leben mit Demenz“ präsentiert sich außerdem am 14. Oktober beim Weinheimer Gesundheitstag in der Weinheimer Stadthalle, organisiert vom Runden Tisch Demenz gemeinsam mit der Ärzteschaft und den Therapeuten mit vielfältigen Vorträgen und Infoständen. Im Herbst soll ein weiterer Kurs starten für Demenzbegleiter.