Weinheim

„Die Kerwe letztes Jahr war brutal“

Die Meinungen darüber, was schiefgelaufen ist an der Weinheimer Kerwe 2022, liegen gar nicht so weit auseinander. Die Kritik von Anwohnern an der konkurrierenden Beschallung beim Weinheimer Altstadtfest teilen auch Standbetreiber. Doch ist gar keine Musik mehr auf den Gassen der richtige Schritt?

Das Ego-Team um Volker Glock, Martin Reismann und Conny Glock (von links) muss den Standort an der Ecke von Stadtmühlgasse und Münzgasse aufgeben. Foto: Privat
Das Ego-Team um Volker Glock, Martin Reismann und Conny Glock (von links) muss den Standort an der Ecke von Stadtmühlgasse und Münzgasse aufgeben.

Die 3000er-Marke ist geknackt. Bis Mittwochmittag hatten 3100 Menschen die Online-Petition auf dem Portal „Change.org“ mit dem Titel „Für eine vielfältige Kerwe auch mit Bumbum“ unterzeichnet. Dem gegenüber stehen die Unterschriften von 50 Anwohnern des Weinheimer Gerberbachviertels, die sich für die Reduzierung des Lärms an den vier Kerwetagen im August und für mehr Sicherheit auf den durch Hunderte von Menschen verstopften Gassen aussprechen. Die Debatte über die Unterschriftensammlung der Anwohner und die Maßnahmen der Stadtverwaltung wird in den sozialen Medien äußerst emotional geführt. Die Anwohner müssen sich viel Kritik anhören. Doch was sagen sie selbst dazu?

"Die Leute, die jetzt motzen, wissen doch gar nicht, wie es für uns wirklich ist" – Anwohnerin Jessica Kohl

Jessica Kohl, Anwohnerin in der Judengasse, hat ihren Namen zwar nicht unter die Unterschriftenliste der IG Altstadt gesetzt, betont aber: „Ich bin nicht gegen die Kerwe, aber letztes Jahr ist es echt eskaliert.“ Sie berichtet von gegenüberliegenden Kerweständen, deren Betreiber sich gegenseitig mit immer lauterer Musik Konkurrenz machten. „Wir feiern auch gerne mit, aber das war abartig“, sagt die 31-Jährige, die mit ihren Nachbarn selbst früher eine Straußwirtschaft im Hof betrieben hat. Sperrstunden würden nicht eingehalten, von Kontrollen durch die Polizei gebe es keine Spur. Und morgens um fünf Uhr komme dann die Straßenreinigung mit Kehrmaschine und Laubbläsern, um Dreck und Flaschen nach einer kurzen Nacht ebenso lautstark wegzuräumen. „Die Leute, die jetzt motzen, wissen doch gar nicht, wie es für uns wirklich ist“, so Jessica Kohl.

Mit den Regelungen, die die Stadtverwaltung jetzt einführen will, kann sie sich dennoch nur bedingt anfreunden. Sie spricht sich gegen eine Einschränkung der Standorte aus – wie zum Beispiel nur eine Seite der Judengasse für Standbetreiber zuzulassen –, allerdings befürwortet sie eine Dezibelbegrenzung. Die gibt es zwar längst, nur hält sich keiner dran. Außerdem wünscht sie sich ein einheitliches Musikkonzept dort, wo sich Überschneidungen ergeben. „Die Lautstärke muss dann aber auch kontrolliert werden – notfalls mit Geldstrafen“, sagt sie. Und auch die Sperrzeiten sollten besser überprüft werden. Jessica Kohl: „Wenn Schluss ist, muss halt auch Schluss sein.“

„Die Kerwe ist ein Fest, bei dem Menschen feiern und nicht im stillen Gedenken beisammenstehen wollen“ – Anwohner Wolfgang Kaps-Engel

Ähnlich sieht das ihre Nachbarin, die anonym bleiben möchte. Sie hat die Unterschriftenliste von kritischen Anwohnern unterzeichnet, fühlt sich aber missverstanden. Ihr sei es hauptsächlich um die enorme Lautstärke gegangen, die im Nach-Corona-Jahr herrschte. „Das war früher nicht so“, erklärt sie im Hof des Hauses, das schon ihr Urgroßvater bewohnte. Sie räumt mit der Vorstellung vieler Kerwegänger auf, die Unterschriften stammten nur von Zugezogenen. „Das ist nicht der Fall“, sagt sie, „viele wohnen schon ewig hier, aber so wie im zurückliegenden Jahr war es noch nie.“ Besonders die musikalische Konkurrenz sei „unerträglich“ gewesen. „Dabei höre ich eigentlich alles gern, von Layla bis Bumbum.“

Wolfgang Kaps-Engel, der den Hof seines Hauses in der Lohgasse seit zwei Jahren an die Straußwirtschaft „Gschmacksach“ vermietet, kann die Aufregung der 50 Anwohner nicht verstehen. Er sagt: „Natürlich ist es laut, aber wer hier wohnt, der muss das in Kauf nehmen oder eben ein paar Tage im August wegfahren.“ Von einer drastischen Reduzierung der Lautstärke hält er nichts. „Die Kerwe ist ein Fest, bei dem Menschen feiern und nicht im stillen Gedenken beisammenstehen wollen“, kann er sich ein bisschen Ironie nicht verkneifen. Und er findet: „Die Weinheimer, die feiern wollen, laufen zu Recht Sturm. Die Kerwe ist ein Teil der lokalen Tradition. Die aufzugeben wegen 50 Unterschriften, das ist doch ein Witz!“

"Die Tendenz ist, dass wir dieses Jahr nichts machen" – Volker Glock, Betreiber "Ego"

Das Lachen ist Volker Glock längst vergangen. Seit Jahren betreibt er mit Freunden das „Ego“ an der Ecke von Stadtmühlgasse und Münzgasse. Für die Stadtverwaltung einer der neuralgischen Punkte. Hier drängen sich vor der Cocktailbar zu Hochzeiten die Massen. Nach dem Willen der Stadtverwaltung allerdings in Zukunft nicht mehr. Ab der Kerwe 2023 wird das Ordnungsamt keine Genehmigungen mehr für diesen Standort erteilen, weil er zu einer „Bündelung“ von Menschenmassen führen könnte.

Die Bedenken betreffen die Sicherheit, aber auch die Lautstärke. „Die Kerwe letztes Jahr war wirklich brutal“, bekennt Volker Glock. Brutal laut und brutal voll. Auch er berichtet von einer „unangenehmen Überschneidung“ der Musik verschiedener Stände. Deshalb kann er verstehen, wenn sich Anwohner beschweren. Und das taten sie mehrfach an den Kerwetagen 2022. „Wir haben uns dafür entschuldigt“, nimmt Glock die Klagen nicht auf die leichte Schulter. Auf der anderen Seite müsse sich jeder, der dort wohnt, darüber im Klaren sein, dass zur Kerwe vier Tage Ausnahmezustand herrscht. Man habe schon ernsthaft darüber nachgedacht, betroffene Anwohner finanziell bei einem Kurzurlaub zu unterstützen – am zweiten Wochenende im August, versteht sich.

Es hilft aber wohl nichts, das „Ego-Team“ wird sich einen neuen Standort suchen müssen. Am Freitag soll bei einem Rundgang in der Altstadt geprüft werden, wo die Reise hingehen könnte. Glock: „Die Tendenz ist aber eher, dass wir dieses Jahr nichts machen.“

Die „Gschmacksach“ plant weiterhin an ihrem Standort in der Lohgasse. Betreiber Rainer Bickel: „Wir gehen davon aus, dass wir die Kerwe 2023 wieder in ähnlichem Stil feiern können wie bisher. Wir waren ja schon immer Vertreter der Genuss-Kerwe.“ Musik spielt dabei für ihn eine entscheidende Rolle. „Eine Kerwe ohne, wäre sehr schade und würde das Fest kaputtmachen“, sagt er und fügt hinzu: „Man darf es aber – wie bei allem – nicht übertreiben.“