Weinheim / Ramat Gan

Hamas-Rakete schlägt in Wohnhaus der Partnerstadt Ramat Gan ein

Am Samstagabend versagt der Schutzschirm „Iron Dome“ in Weinheims israelischer Partnerstadt. Das öffentliche Leben kommt zum Stillstand.

Noch in der Nacht meldet sich die Verwaltungs- und Sicherheitsspitze mit geplanten Maßnahmen bei der Bevölkerung zurück. Foto: Facebook / MayorShama
Noch in der Nacht meldet sich die Verwaltungs- und Sicherheitsspitze mit geplanten Maßnahmen bei der Bevölkerung zurück.

Die langanhaltende und unaufhörliche Angst wurde nun bittere Realität: Am Samstagabend versagt der Raketenschutzschirm „Iron Dome“ das erste Mal in Weinheims Partnerstadt. „Direkttreffer in einem Privathaus in Ramat Gan, derzeit gibt es keine Verletztenmeldungen. Auf dem Weg dorthin werde ich ein Update machen“, sendet Bürgermeister Shama-Hacohen eine Eilmeldung über die sozialen Medien auf seinem Weg zu dem zertrümmerten Gebäude. Auch im Umland kommt es zu Raketeneinschlägen. Hier gibt es hingegen Verletzte.

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„Direkter Treffer“

Nach Angaben Shama-Hacohens handelte es sich bei dem Haus in Ramat Gan um einen „direkten Treffer“. Todesopfer oder Verletzte habe es glücklicherweise keine gegeben – abgesehen von „Panik-Opfern“, die der Raketeneinschlag verursacht habe. Der Bürgermeister sagte dies nicht ohne Grund: Die psychologische Dimension, die dieses Versagen des Raketenschutzschirms in den Köpfen der Einwohner bekommt, ist nicht zu unterschätzen. Die Alarmtöne, die aus Sirenen und Smartphones erschallen, gehören zum ständigen Grundrauschen im Leben der Partnerstadt. Mit dem Raketeneinschlag auf Ramat Gans Gemarkung wird die Bedrohung wieder greifbar.

Zuletzt versagte das System 2021: Damals fanden zwei Raketen ihren Weg nach Ramat Gan, als militante Palästinenser massiv den Großraum Tel Aviv beschossen haben. Das Bombardement kostete einen 55 Jahre alten Mann sein Leben, der wegen gesundheitlicher Probleme nicht in der Lage war, sich in einen der Bunker zu begeben. Ob sich die Einwohner des am Samstag bombardierten Hauses ebenfalls in einen Schutzraum flüchten konnten oder nicht zuhause waren, ist nicht bekannt.

Der Schock sitzt tief

„Man muss verstehen“, so der Weinheimer Theologe Albrecht Lohrbächer im Gespräch mit den WN/OZ, „dass der Schock vom 7. Oktober unglaublich tief sitzt und immer wieder hochkommt". Als „Vater“ der deutsch-israelischen Städtepartnerschaft befindet sich der 80-Jährige im ständigen Austausch mit Akteuren und Einwohnern Ramat Gans. Durch seine vielen Besuche in Israel und der Partnerstadt versteht er die Mentalität der Menschen wie kaum ein Zweiter in Weinheim. „In Ramat Gan kennt jeder jeden. Die Verbundenheit mit dem Leid des Volkes ist in dem kleinen Israel ohnehin sehr hoch. Sie begreifen sich als Schicksalsgemeinschaft.“

Der Raketentreffer hat unmittelbare Folgen für das gesellschaftliche Leben in Ramat Gan. Noch am Samstag setzte das israelische Heimatfront-Kommando die Warnstufe von Grün auf Gelb zurück. Das Regionalkommando der israelischen Streitkräfte, das 1992 als unmittelbare Reaktion auf den Zweiten Golfkrieg gegründet wurde, ist unter anderem für die Führung und Koordination der israelischen Zivilverteidigung und des Zivil- und Katastrophenschutzes zuständig. Die Stadtverwaltung zog sich zur Re-Evaluation der Lage zurück.

Später am Abend meldete sich die Verwaltungs- und Sicherheitsspitze bei der Bevölkerung. Das öffentliche Leben in Weinheims Partnerstadt, es wird weiter stillstehen. Ähnlich wie im pandemiebedingten Lockdown sind Cafés und Geschäfte geschlossen - abgesehen von Angeboten, die der Grundversorgung dienen. Auch der Baustellenbetrieb wurde eingestellt. Bürgermeister Shama-Hacohen wollte die Verkehrsinfrastruktur und Zugänge zu Schutzbunkern von dem Baustellenbetrieb und den -fahrzeugen frei halten.

„Der Bürgermeister stand aufgrund dieser Entscheidungen unter massivem Druck“, erzählt Albrecht Lohrbächer. Vor allem, weil die israelische Stadt im Bezirk Tel Aviv mehr Restriktionen aufweist als manche andere Kommune, deutlich mehr als das nur 20 Minuten entfernte Tel Aviv selbst. In Bezug auf den Baustellenstopp hatten die Firmen sogar per Eilverfahren vor Gericht geklagt.

Heimunterricht für Schüler

Im Netz wurde insbesondere die Kritik an den Schulschließungen laut. Vermutlich startete der Bürgermeister auch deswegen eine Umfrage auf Facebook, bevor er die einzelnen Maßnahmen bekannt gab. Gleichwohl betonte er gleichzeitig, dass das Meinungsbild „keinen direkten Einfluss“ auf die Entscheidung habe. So beschloss die Verwaltungsspitze nun auch, die weiterführenden Schulen in den Heimunterricht zu schicken. Im Bereich der Grundschulen wird lediglich ein Teil des Unterrichts in den Klassenstufen eins bis drei in Präsenz stattfinden. Der Betrieb in Kindergärten und -tagesstätten wird eingeschränkt fortgeführt.

Die Zahl der Todesopfer unter den Einwohnern Ramat Gans bewegt sich im zweistelligen Bereich. Vor allem sind es junge Soldatinnen und Soldaten, die ihr Leben ließen. Es gab jedoch auch Bürger, die bei den blutigen Massakern der Hamas-Terroristen in und um den Kibbuz Re’im im Süden Israels zugegen waren. Die 26-jährige Einwohnerin Ramat Gans Oriya Ricardo wurde dabei getötet.