Weinheim

Immer mehr Straftaten im Zusammenhang mit Kinderpornografie kommen in Weinheim ans Tageslicht

In Weinheim und Umgebung gibt es eine steigende Anzahl von Kinderpornografie-Fällen. Dies ist eine Entwicklung, die erst kürzlich Fahrt ausgenommen hat. Was steckt dahinter?

Was die Täter oft verdrängen: Hinter jedem kinderpornografischen Bild und Video stecken schwerste Schicksale. Foto: Symbolbild Adobe Stock/yupachingping
Was die Täter oft verdrängen: Hinter jedem kinderpornografischen Bild und Video stecken schwerste Schicksale.

In Weinheim und Umgebung gibt es immer mehr Straftaten im Zusammenhang mit Kinderpornografie. Dabei handelt es sich um eine Entwicklung, die erst kürzlich an Rasanz gewonnen hat: Konnten Polizei und Justiz vor fünf Jahren noch von Einzelfällen sprechen, hat sich die Zahl mittlerweile vervielfacht. Aber wieso kommen in jüngster Zeit so viele pädophile Straftaten ans Tageslicht?

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„Die Aufklärungsmethoden sind besser geworden“, erklärt Eva Lösche, Direktorin am Weinheimer Amtsgericht. Im Moment zählt sie fünf laufende Verfahren, in denen Erwachsene Kinderpornografie besessen, verbreitet und/oder erworben haben. „Ich kann auf jeden Fall von einem Aufwärtstrend sprechen.“ Blick auf die Zahlen: In den Jahren 2008 bis 2021 gab es 18 Verfahren, die unter diesem Straftatbestand beim Amtsgericht Weinheim geführt wurden. Allein im Jahr 2022 waren es 13.

Ähnliches berichtet die Polizei. In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl der Straftaten von drei im Jahr 2018 auf sechs 2019 und zehn Fälle 2020 erhöht, wie Sprecher Philipp Kiefner erklärt. Im Jahr 2021 waren es dann mit 25 mehr als doppelt so viele, 2022 gab es 30 Ermittlungsverfahren. Wie erklären sich die Ordnungshüter diesen Anstieg?

„Landesweit steigt die Anzahl an Sexualstraftaten. Gründe sind unter anderem Gesetzesänderungen und ein verändertes Anzeigeverhalten“, so Kiefner. Eine Vielzahl von Fällen, die beim Bundeskriminalamt angezeigt werden, kämen von der US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation „National Center for Missing and Exploited Children“. Auf Deutsch bedeutet das: Nationales Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder. Diese gleicht Daten von amerikanischen Providern ab und sendet Verdachtsanzeigen an die deutschen Behörden. Anders als die Straftaten, die schlussendlich vor Gericht landen, gibt es unter dem Straftatbestand der kinderpornografischen Schriften auch Fälle, bei denen nicht unbedingt von Pädophilie gesprochen werden kann.

Gefahr durch WhatsApp & Co.

Denn „insbesondere der unbedarfte Umgang“ mit WhatsApp und Co. führt dazu, dass viele Kinder und Jugendliche selbst ins Visier der Beamten geraten. So können beispielsweise Phänomene wie die sogenannten Dickpics eine Statistik nach oben treiben. Dabei handelt es sich um Penisbilder, die meist unaufgefordert versendet werden. Stammt die Aufnahme von einem Minderjährigen, handelt es sich bei der Datei um eine kinderpornografische Schrift. Ihr Besitz und ihre Verbreitung sind strafbar.

„Das sind jedoch nicht die Fälle, die bei uns im Amtsgericht landen“, betont Direktorin Eva Lösche. Die Prozesse, die dort geführt werden, richteten sich ausschließlich gegen Erwachsene. Der Altersbegriff ist in diesem Fall weit gefasst: Die jüngsten Angeklagten waren ein 20- und zwei 30-Jährige, der bisher älteste ein 72-jähriger Senior.

Viele flüchten sich in Ausreden

Trotz der zumeist „erdrückenden Beweislage“ legen längst nicht alle ein Geständnis ab: „Viele flüchten sich in Ausreden. Dabei zählen Geständnisse in diesem Bereich viel.“ Denn wenn der Angeklagte die Tat vollumfänglich einräumt, bedeutet das, dass Richterin und Schöffen nicht das Foto- und Videomaterial auswerten müssen. „Das ist schon harter Tobak“, berichtet die Direktorin. Je nach Intensität und Länge der Aufnahmen könne es zu psychosomatischen Reaktionen kommen: „Das fühlt sich an wie eine Grippe. Man merkt, wie einem immer übler wird.“ Das gelte insbesondere für Schöffen. Also „normale“ Bürger, die als ehrenamtliche Richter tätig sind.

Eine Schwierigkeit ergibt sich im Zusammenhang mit Pädophilie: Sie wird als psychische Störung klassifiziert. Eva Lösche berichtet von dem Fall eines 30-Jährigen, der sich wegen seines Triebes bei der Polizei gemeldet und wegen seiner illegalen Aktivitäten selbst angezeigt hat. „Er war verzweifelt und wollte Hilfe“, sagt Lösche.

Wie fällt das Urteil in einem solchen Fall aus? „Natürlich hat er eine Strafe bekommen“, so die Amtsrichterin, „aber mit einem großen Hilfspaket.“ Oftmals sei eine Bewährungsstrafe mit Auflagen für Beratungs- und Therapiegespräche bei der Verurteilung das Mittel der Wahl. Der Verein Behandlungsinitiative Opferschutz (BIOS) in Karlsruhe ist die nächstgelegene Anlaufstelle. BIOS ist sowohl für Opfer als auch Täter und „Tatgeneigte“ Ansprechpartner.

Therapien als Auflage: Das kann von Erfolg gekrönt sein, aber auch krachend scheitern. Lösche erzählt von einem Fall, in dem ein junger Mann trotz eines „riesigen Therapieaufgebots“ prompt nach Ablauf der Bewährungszeit rückfällig wurde.

Therapie und Strafe

Überhaupt: Das Ziel der Justiz sei nicht, den Trieb zu behandeln. „Wenn Erwachsene Trieben nachgehen, die gegen die gesellschaftlichen Normen verstoßen – und das ist hier in höchstem Maße der Fall –, muss das bestraft werden“, stellt die Amtsrichterin klar. „Viele sagen, Fotos anschauen, das ist doch nicht so schlimm, wie sich wirklich an Kindern zu vergehen. Aber man muss sich bewusst machen, dass hinter jedem Foto furchtbare Schicksale stecken.“

Die Richterin spricht aus Erfahrung. In ihrer Sonderzuständigkeit in der Großen Jugendkammer vernahm sie Kinder, die Opfer von Sexualstraftaten geworden waren. Diese Videovernehmungen finden in einem Raum statt, der durch seine Gestaltung und Einrichtung (etwa Spielzeug) für eine möglichst behütete Atmosphäre sorgen soll. Eine Übertragung wird in den Raum des Staatsanwaltes gesendet. Eine Weitere in die des Anwalts und des Angeklagten. „In den Gesprächen mit den armen, kleinen Würmern habe ich wirklich schlimme Dinge gehört“, sagt die Richterin. Das jüngste dieser Kinder war gerade einmal vier Jahre alt.