Weinheim

Weinheims israelische Partnerstadt trauert um junge Soldaten

Die israelische Stadt Ramat Gan, Partnerstadt von Weinheim, trauert um ihre ersten Kriegsopfer. Bürgermeister Carmel Shama-Hacohen berichtet von sechs tragischen Verlusten, die das Leben der Angehörigen und der Gemeinschaft erschüttern.

Der 29-jährige Ido Yisrael Shani gehörten zu den ersten Kriegsopfern Ramat Gans. Foto: Facebook/MayorShama
Der 29-jährige Ido Yisrael Shani gehörten zu den ersten Kriegsopfern Ramat Gans.

Weinheims israelische Partnerstadt Ramat Gan betrauert ihre ersten Kriegsopfer. Wie Bürgermeister Carmel Shama-Hacohen mitteilt, sind sechs Einwohner im Zuge des Großangriffs durch die palästinensische Hamas gestorben.

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Shama-Hacohen spricht von „sechs Türen, an denen geklopft wurde“. Sechs Schicksale, die die Leben der betroffenen Angehörigen auf den Kopf stellen, aber auch ein schwerer Schlag für die restlichen Anwohner Ramat Gans im Bezirk Tel Aviv sind.

Die israelische Internetzeitung The Times of Israel listet in einem Artikel die Namen von 124 gefallenen Soldaten und 41 Polizisten auf, die im Krieg umgekommen sind. Dort sind auch die Namen zweier junger Soldaten aus Ramat Gan zu lesen: des 19-jährigen Ili Bar Sadeh und des 29-jährigen Ido Yisrael Shani.

Den Tod des jungen Soldaten Ido Yisrael Shani kommentierte Ramat Gans Bürgermeister Carmel Shama-Hacohen auf Facebook mit Worten der Betroffenheit und Anteilnahme: „Mein Beileid im Namen aller Einwohner der Stadt an seine Frau, seine Eltern und seine ganze Familie. Möge seine Seele in Frieden ruhen.“ Wenige Stunden zuvor kondolierte er den Angehörigen des 19-jährigen Ili Bar Sadeh: „Die Eltern und der Bruder sind gebrochen und vermissen ihn so sehr.“

Währenddessen formiert sich in Ramat Gan sowohl Solidarität als auch Widerstand. 8000 Flaggen wurden vom israelischen Rathaus verteilt, damit sie Bürger von ihren Häusern hängen. Einwohner Jehoschua*, der im Juli mit einer Delegation in Weinheim zu Besuch war, berichtet von einer überwältigenden Hilfsbereitschaft der Bürger. Die Menschen in Ramat Gan packen Lkw-Ladungen voll von Kleidung, Büchern, Medizin, Alltagsgegenständen und noch vielem mehr, um sie den Bürgern der evakuierten Gebiete zu schicken. Zwischenzeitlich waren die Quartiersbüros am Montag bereits voll und es mussten Ausweichplätze für Spendensammlungen geschaffen werden. „Der Geist der Freiwilligenarbeit ist auf seinem Höhepunkt!“, kommentierte die Stadt Ramat Gan.

Die Suche nach Freiwilligen

Freiwillige werden nun auch im Sicherheitssektor gesucht. Die Bürgerwehr soll gemeinsam mit der Polizei ausgebaut werden. „Das Grundgerüst sind natürlich die lizenzierten Schusswaffenbesitzer, diejenigen mit einem Kampf-, Militär-, Polizei- und Sicherheitshintergrund und alle, die bereit sind, eine entsprechende Ausbildung zu absolvieren“, so Shama-Hacohen. „Wir vertrauen wirklich jedem, aber nach dem, was wir letzten Samstag gesehen und erlebt haben, zunächst einmal uns selbst“, begründet der Bürgermeister Ramat Gans. Der Raketenbeschuss der Hamas dauert indes an und stellt den israelischen Raketenschutzschirm auf eine Zerreißprobe. Nach einer Situationsbewertung mit Gemeindebeamten, Polizei und Behörden wird das Risiko einer direkten Attacke durch das Eindringen von Terroristen in Ramat Gan als eher niedrig bewertet, heißt es aus dem dortigen Rathaus. Aber: „Die Gefahr von Direktraketen ist auf ihrem Höhepunkt“, schreibt Bürgermeister Shama-Hacohen.

Jehoschua schickt per WhatsApp Aufnahmen aus seinem Garten. Auf ihnen sind im Himmel die Kondensstreifen zweier Raketen zu sehen. Eine hinterließ die Rakete der Hamas, die andere die Flugabwehrrakete der Iron Dome (Eisenkuppel). Dabei handelt es sich um ein mobiles bodengestütztes System, das auch Artillerie- und Mörsergranaten abwehren kann. 2021 versagte dieses System. Damals fanden zwei Raketen ihren Weg nach Ramat Gan, als militante Palästinenser massiv den Großraum Tel Aviv beschossen haben. Das Bombardement kostete einen 55 Jahre alten Mann sein Leben, der wegen gesundheitlicher Probleme nicht in der Lage war, sich in einen der Bunker zu begeben.

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Plötzlich ist Krieg in Israel. Der Großangriff der Hamas versetzt die Bewohner des Landes in Angst und Schrecken. Nie zuvor starben so viele Zivilisten in so kurzer Zeit. Der Bezirk Tel Aviv ist eines der unzähligen Ziele des Raketenbeschusses. Dort ist auch Weinheims Partnerstadt Ramat Gan gelegen. Innerhalb der Stadtgrenzen herrscht ständige Alarmbereitschaft durch die Bombardements. Außerhalb der Stadtgrenzen sind viele schon zum Opfer der Hamas geworden: „Leider wissen wir bereits von einigen Einwohnern der Stadt, die an der Südfront entführt oder schwer verletzt wurden oder vermisst werden“, teilt Ramat Gans Bürgermeister Carmel Shama-Hacohen mit. „Wir werden beten, dass sie bald nach Hause zurückkehren.“

Die Medien berichten am laufenden Band über die Entwicklungen im Land. Die Zahl der Toten steigt auf beiden Seiten immer weiter: Am Sonntagnachmittag beziffert die Deutsche Nachrichtenagentur die Zahl der Todesopfer allein auf israelischer Seite mit 500, hinzu kommen 2000 Verletzte. Über alle Sender prasseln die Meldungen in der verworrenen Nachrichtenlage ein, die die Menschen in der Hoffnung verfolgen, Gewissheit über vermisste Angehörige zu erlangen. Carmel Shama-Hacohen hält die Bevölkerung unter anderem über Facebook auf dem Laufenden: „Bei jedem ungewöhnlichen Ereignis in der Stadt, das eine Gefahr für Sie darstellt, werde ich Sie umgehend informieren“, verspricht er den Bürgern.

Israel und der Großraum Tel Aviv sind das Ziel unzähliger Raketenangriffe.
Israel und der Großraum Tel Aviv sind das Ziel unzähliger Raketenangriffe.

Der 50-Jährige warnt, bittet um Verständnis sowie Solidarität und ruft zur Besonnenheit auf. Auch weil der Raketenschutzschirm rissig werden könnte: „Das Risiko, dass Raketen aufgrund der Intensität des Bombardements einschlagen, ist höher denn je“, so Carmel Shama-Hacohen. Bürger sollten beim Rausgehen auf die Straße jederzeit die Fluchtmöglichkeit in geschützte Räume im Auge behalten, „wenn der Alarm ertönt“. Der Bürgermeister appelliert an die Sensibilität und Hilfsbereitschaft für ältere Mitbürger: „Einige von ihnen haben Schwierigkeiten, die Realität der Notsituation alleine zu bewältigen.“ Und Carmel Shama-Hacohen bittet: Fake News sollen ignoriert und schon gar nicht verbreitet werden.

Albrecht Lohrbächer (Zweiter von links) und Oberbürgermeister Manuel Just (Mitte) bei ihrem Besuch in Ramat Gan im Juni.
Albrecht Lohrbächer (Zweiter von links) und Oberbürgermeister Manuel Just (Mitte) bei ihrem Besuch in Ramat Gan im Juni.

„Beide meiner Söhne sind in der Armee“, sagt Jehoschua*. Durch die strikte Wehrpflicht, die allen 16-jährigen Einwohnern vorschreibt, sich im Register der israelischen Armeebehörden erfassen zu lassen, bangen etliche Eltern um ihre Kinder. „Fast jede Familie ist von der Mobilmachung betroffen“, sagt Albrecht Lohrbächer, „Vater“ des Austauschs zwischen Weinheim und Ramat Gan. Auch Jehoschua, der wegen seiner Söhne eindringlich darum bittet, nicht mit echtem Namen genannt zu werden. Der Klang seiner Stimme am Telefon gibt einen vagen Einblick in die Erschütterung und die Sorge der Bürger aus der Partnerstadt. Der eigentlich so lustige, Witze reißende Mann ist seit seinem Besuch im Juli, als er mit einer Delegation Weinheim besuchte, wie ausgewechselt. Ende dieses Monats ist der Gegenbesuch der Weinheimer geplant. In Anbetracht der Situation scheint das Vorhaben jedoch sehr unwahrscheinlich.

Im Juli war eine Delegation aus Ramat Gan in Weinheim.
Im Juli war eine Delegation aus Ramat Gan in Weinheim.

Albrecht Lohrbächer steht in ständigem Austausch zu befreundeten Bürgern und Israelis aus anderen Teilen des Landes. Darunter ist auch Dani Gogol, dessen verstorbener Vater Schmuel mit der Kinder-Harmonikagruppe Ramat Gans mehrfach Weinheim besuchte und damit den Grundstein für die Städtefreundschaft legte. Die Sorge ist groß: „Dani hat zwei Enkel, die in der Nähe des Gazastreifens im Militär aktiv sind.“
Albrecht Lohrbächer hat auf seinem Smartphone die Warn-App Tzofar installiert. Die unaufhörlichen Handymeldungen über die verheerenden Raketenbeschüsse auf Israel tönen auch während des Gesprächs mit den WN aus Lohrbächers Hosentasche. „Die letzte Warnung für Ramat Gan war gestern um 20.19 Uhr“, berichtet der ehemalige Schuldekan und Theologe am Sonntag.

„Wir hören die Explosionen. Die Raketen schlagen vielleicht zehn bis zwanzig Kilometer von uns ein“, erzählt Jehoschua. Nimmt eine palästinensische Rakete das Gebiet ins Visier, dröhnt es aus den Alarmsirenen und den Smartphones. Die Information über den ermittelten Einschlagort verrät, wie viel Zeit dann zur Flucht bleibt. Mal ist es eine Minute. Mal sind es zehn Sekunden. „Die meisten Wohnungen verfügen über Panikräume aus Beton und Metall“, erklärt der Israeli. „Nachdem wir die Explosion hören, müssen wir zehn Minuten warten, dann dürfen wir den Panikraum wieder verlassen.“

Oberbürgermeister Manuel Just
Oberbürgermeister Manuel Just


Oberbürgermeister Manuel Just, der im Juni zu Gast in der Partnerstadt war, drückt seine Solidarität mit und sein Mitgefühl für Ramat Gan aus. „Seit ich von den Angriffen aus unseren Medien erfahren habe, bin ich tief betroffen. Meine Gedanken waren sofort bei unseren Freunden in Israel“, erklärt er. Bei seinem Besuch in Ramat Gan habe er erlebt, in welchem Maße die Menschen dort ihr Leben mit immer wieder drohenden und realen terroristischen Anschlägen in Einklang zu bringen versuchen. „Eine Kriegserklärung mit gleichzeitig einhergehendem massivem Beschuss – wie im Moment – stellt jedoch meines Erachtens eine neue Dimension im Kontext der jüngeren Vergangenheit dar.“

Solidarität mit Ramat Gan


OB Just und Albrecht Lohrbächer haben vereinbart, dass sie im engen Austausch über die Lage in Ramat Gan bleiben. Zu passender Zeit soll es sehr schnell auch einen persönlichen Kontakt zu Justs Amtskollegen Carmel Shama-Hacohen geben, sowie zum Ersten Bürgermeister Roi Barzilai. Just: „In den nächsten Tagen wird zu prüfen und zu besprechen sein, wie wir als Partnerstadt und Freunde den Menschen in Ramat Gan konkret helfen können.“

Hilfe, das ist in Ramat Gan das große Gebot der Stunde. Jehoschua berichtet, dass die Familien Ramat Gans einschließlich aller Kinder Boxen mit Essen und Kleidung für die Bewohner Südisraels packen. „Wir bieten den Kindern hier Raum zum Wohnen an“, sagt er. Selbst für die Haustiere versuche man so gut es geht Unterstützung zu bieten.
(* Name von der Redaktion geändert)