Weinheim/Mannheim

Maskenprozess geht nur schleppend voran

13 Sitzungsunterbrechungen, drei weitere Befangenheitsanträge und nur eine Zeugenvernehmung - der Berufungsprozess gegen eine Weinheimer Ärztin geht auch am zweiten Tag nur schleppend voran.

Am Landgericht Mannheim findet derzeit die  Berufungsverfahren gegen eine  Weinheimer Ärztin und ihre Bürohilfe statt. Das Bild zeigt die Verteidiger im Saal 1 des Landgerichts. Foto: Christoph Blüthner
Am Landgericht Mannheim findet derzeit die Berufungsverfahren gegen eine Weinheimer Ärztin und ihre Bürohilfe statt. Das Bild zeigt die Verteidiger im Saal 1 des Landgerichts.

Auch der zweite Verhandlungstag im Berufungsprozess gegen eine Weinheimer Ärztin, die in der Coronazeit mehr als 4000 Maskenatteste ohne Untersuchung, sondern einfach "auf Zuruf" und gegen Zahlung von fünf bis sieben Euro ausgestellt haben soll, gestaltete sich am Donnerstag äußerst zäh. Die Verteidiger der 59-jährigen Ärztin und ihrer 48-jährigen Bürohilfe, die wegen Beihilfe ebenfalls angeklagt ist, stellten im Laufe des Vormittags gleich drei Anträge wegen Besorgnis der Befangenheit. Zwei davon richteten sich gegen eine Schöffin, der dritte Befangenheitsantrag betraf beide Schöffinnen und den Vorsitzenden Richter Dr. Christian Hirsch. Darüber wird frühestens nächste Woche entschieden, voraussichtlich zusammen mit einem weiteren Befangenheitsantrag gegen das Gericht, den die Anwälte am ersten Verhandlungstag gestellt hatten.

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Schöffin im Visier der Verteidigung

Besonders eine der ehrenamtlichen Schöffinnen geriet ins Visier der Verteidigung, nachdem bekannt geworden war, dass sie beruflich bei einem Pharmagroßhändler beschäftigt ist, der auch Coronamasken vertreibt. Das war offenbar auch dem Vorsitzenden Richter neu, der darin aber - genau wie der Staatsanwalt und die Schöffin selbst - keinen Interessenskonflikt und daher auch keinen Grund für eine "Selbstanzeige" der Befangenheit erkennen konnte. Das sahen die Verteidiger anders.

Als kurz darauf Richter Hirsch den Antrag der Verteidigung auf Lockerung der strengen Sicherheitsvorkehrungen für den Prozess erneut ablehnte und dann weiter feststellte, dass das Gericht am Mittwoch die schriftlichen Beweismittel (536 Seiten) im sogenannten Selbstleseverfahren zur Kenntnis genommen habe, folgte postwendend der nächste Befangenheitsantrag gegen den Richter und die beiden Schöffinnen. Als später bei der Befragung des Zeugen durch Verteidiger Sven Lausen die Schöffin hörbar seufzte und nach Auffassung seines Kollegen Ivan Künnemann eine "abschätzige Kopfbewegung" machte, war die nächste Sitzungsunterbrechung fällig.

Nun wurde es skurril: Richter Hirsch teilte mit, dass die Schöffin ihm erklärt habe, nur deshalb geseufzt zu haben, weil sie dringend zur Toilette musste, aber die Befragung nicht unterbrechen wollte. Keinesfalls hätten sich der Seufzer und eine mögliche Kopfbewegung auf die Fragen des Verteidigers bezogen. Rechtsanwalt Künnemann reichte das nicht als Erklärung aus; er stellte einen weiteren Befangenheitsantrag gegen die Schöffin.

Anfangs Einstellung des Verfahrens in Erwägung gezogen

Was den Fall selbst angeht, brachte die Befragung des Zeugen, der als Polizeibeamter einer der beiden Hauptsachbearbeiter war, zumindest ein paar interessante Details: So bestätigte er, dass die erste Anzeige gegen die Weinheimer Ärztin von der Bezirksärztekammer Nordbaden am 21. Juli 2020 bei der Staatsanwaltschaft eingereicht wurde. Daraufhin sei das Polizeirevier Weinheim mit ersten Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts der Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse gemäß § 278 StGB (Strafgesetzbuch) beauftragt worden. Die Polizei habe daraufhin der Ärztin schriftlich eine Vorladung zukommen lassen, der sie allerdings nicht gefolgt sei, sondern einen Anwalt einschaltete. Am 25. August 2020 habe die Staatsanwaltschaft in einem Brief der Bezirksärztekammer dann mitgeteilt, dass man die Einstellung des Verfahrens erwäge, da die bis dahin vorgelegten Atteste keine Diagnose im Sinne eines Gesundheitszeugnisses enthalten hätten. Es sei bisher auch davon auszugehen, dass sich die Ärztin vor Erteilung des Attests über den Gesundheitszustand der Patienten informiert habe.

Der Polizeibeamte erinnerte sich vage daran, dass die Bezirksärztekammer darauf noch einmal reagierte. Aber vor allem seien in den folgenden Wochen immer mehr Anzeigen aus ganz Deutschland eingegangen, wonach die Empfänger die Atteste unter anderem bei Kontrollen des Ordnungsamtes, am Flughafen, in der Schule oder beim Arbeitgeber vorgelegt hätten. In einigen Fällen hätten Atteste auch Diagnosen enthalten. Aber erst bei der Auswertung der Bankkonten der Ärztin sei dann das ganze Ausmaß des Handels mit Maskenattesten deutlich geworden - wie berichtet, soll die Ärztin zwischen Mai 2020 und Januar 2021 insgesamt rund 28 000 Euro mit der Ausstellung von 4374 Maskenattesten verdient haben. In erster Instanz war sie deshalb vom Amtsgericht Weinheim zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten und zu einem dreijährigen Berufsverbot verurteilt worden. Dagegen hatten sowohl die Staatsanwaltschaft, die ein höheres Strafmaß beantragt hatte, als auch die Verteidigung, die einen Freispruch fordert, Berufung eingelegt.

Die Berufungsverhandlung wird voraussichtlich am Donnerstag, 16. November, um 9 Uhr im Landgericht Mannheim, Saal 1, fortgesetzt.

Neue Strategie der Verteidigung

Bereits am ersten Verhandlungstag war deutlich geworden, dass die Verteidigung in der Berufungsverhandlung eine andere Strategie verfolgt als in der ersten Instanz vor dem Amtsgericht Weinheim. Damals hatte die Ärztin die massenhafte Ausstellung der Maskenatteste - gegen eine Gebühr - zwar eingeräumt, aber in einer kämpferischen Einlassung die nach ihrer Überzeugung schädlichen Auswirkungen des Maskentragens betont. Als Ärztin sei es daher ihre Pflicht gewesen, die Menschen vor diesen Folgen zu schützen. Dem hielt das Weinheimer Schöffengericht entgegen, dass auch Ärzte nicht über dem Gesetz stünden. Das Gericht unter Vorsitz von Richterin Eva Lösche betonte damals: „Das ist kein Coronaprozess. Wir hätten Ihnen auch den Prozess gemacht, wenn Sie Atteste wegen Rückenleiden verkauft hätten, ohne die Krankengeschichten zu kennen.“

Denn der juristische Vorwurf bezieht sich auf Paragraf 278 StGB, wonach das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse strafbar ist. Genau dort setzte am ersten Tag der Berufungsverhandlung am Landgericht Mannheim die Verteidigung an. Sie vertritt die Auffassung, dass die Maskenatteste gar keine "Gesundheitszeugnisse" im rechtlichen Sinne gewesen seien. Die "Befreiung" von der Maskenpflicht, die von der Bundesregierung damals angeordnet worden war, sei weder sprachlich noch inhaltlich ein "Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen", argumentierten die Verteidiger und forderten deshalb die Einstellung des Verfahrens.