Kultur

Rafik Schami in Weinheim

Der deutsch-syrische Schriftsteller spricht über sein neues Werk „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“.

Foto: Root Leeb

Obwohl sein neuer Roman fast 500 Seiten zählt und seit seinem Erscheinen im September auf den Bestsellerlisten des Buchhandels ungebremst nach oben schießt: Der in Damaskus geborene Rafik Schami ist mehr noch als ein Schreiber, ein begnadeter Erzähler. Das wurde kürzlich bei seiner Lesung in der Buchhandlung Beltz wieder einmal deutlich. Der fantastische Märchenkosmos von Schami und der Titel seines neuen Werkes „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“ sind eine in arabische Weisheiten und Humor eingebettete Hommage an die freie Rede, das Erzählen und zugleich Poesie pur.

Schami berichtet von weisen Richtern und pfiffigen Tieren, Stadtstreichern, Olivenhändlern und Kalligrafielehrern und lässt beim Jonglieren mit den Details („Ich komme auf das eben Gesagte in zehn Minuten wieder zurück“) dennoch nie den Erzählfaden fallen. Ähnlich wie Scheherazade in 1001 Nächten, in denen es um ihren Kopf geht, versucht bei Schami der Kaffeehauserzähler Karam zehn Abende lang die depressiv gewordene Königstochter Jasmin wieder aufzuheitern. Hintergrund von Jasmins Melancholie: Sie gibt sich die Mitschuld am Tod ihrer Mutter, die einem Attentat zum Opfer fiel. Die Heilung vorantreiben will Karam mit Geschichten über „Gauner, Lügner und deren Widersacher“, über „Mut und Feigheit“, Berichten von „Schlauköpfen und Einfaltspinseln“ sowie „Vom Aberglauben und seiner Todfeindin, der Vernunft“. Um sein Ziel zu erreichen, versammelt Karam allabendlich erzählfreudige Menschen im Palast des Königs, um die Prinzessin durch deren Erzählungen wieder ins Leben zurückzuholen.

Am Anfang des von Schami in der Buchhandlung Beltz gewebten Geschichtenteppichs steht eine Bibliothek, die Schamis verstorbenem Vater, einem leidenschaftlichen Büchersammler, gehörte. Zahlreiche Erstausgaben, seltene Folianten und Handschriften sowie wertvolle Abhandlungen und historische Werke befanden sich in dem Sommerhaus der Familie in Maalula. Vor gut zehn Jahren dann die „kulturelle Katastrophe“: Eine im Kampf von Islamisten gegen die Regierung abgefeuerte Rakete traf den Salon und setzte das Haus in Brand. Nur sechs Bücher, darunter der von einem unbekannten Autor im 19. Jahrhundert geschriebene Roman „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“, konnten aus den Flammen gerettet werden. Fasziniert von den im Buch handschriftlich versammelten „Perlen arabischer Erzählkunst“ übernahm es Schami in fünfjähriger akribischer Arbeit, den Kern jeder Geschichte in die Gegenwart zu übertragen und das Ganze, eingebunden in die Rahmenhandlung um die traurige Prinzessin, neu aufzulegen.

"Die Ohren meiner Mutter haben mich zum Erzähler gemacht"

Eine Geschichte neu zu erzählen, sei nichts anderes als sie neu zu erfinden, machte Schami gegenüber seinen Zuhörern daraus kein Geheimnis. „Die Ohren meiner Mutter haben mich zum Erzähler gemacht“, lüftete Schami zugleich das Geheimnis um die heilende Kraft des Erzählens. Seine Mutter habe ihn gelehrt, wie man zuhört, lässt er Karam sagen. Denn: „Wer nicht zuhört, kann auch nicht erzählen.“ Hinzu kommt die Stimme, „das schönste Instrument des Menschen“. Vor allem aber: „Der Respekt vor dem Publikum.“ Darüber hinaus hat sich Schami auf seiner aktuellen, zwischen Humor und Tragik angesiedelten Lese- und Erzählreise noch eine andere Weisheit der Scheherazade und von Karam zu eigen gemacht: „An der spannendsten Stelle der Erzählung muss man aufhören. Sonst kommt am nächsten Tag niemand mehr.“ Und auf die trauernde Jasmin bezogen: „Geschichten können Menschen aus einer Sackgasse führen.“ Es seien immer „Geschichten aus dem Regenbogen des Lebens“, die der Poet in Worte kleidet und in denen er sich mit Einfühlungsvermögen nicht zuletzt als Seelentröster erweist: „Auch wenn ein Problem als unlösbar erscheint: Gib niemals auf“, so das Credo.

Das Ende des gut 90-minütigen Erzählabends gestaltete sich mit der Geschichte von der Fee, die einem Ehepaar jeweils einen Wunsch erfüllen wollte, wieder fröhlich. Während sich die Frau Reichtum und ein Haus am Meer wünscht und erfüllt bekommt, wünscht sich ihr Ehemann „eine Frau, die 40 Jahre jünger ist“ als er. Schami: „Und Schwupps war er 100 Jahre alt.“ „Kein anderer vermag so zu erzählen wie Rafik Schami“, begeisterte sich am Ende eine Zuhörerin. Und legte dem „Zauberer der Sprache und Worte“ gleich fünf seiner Bücher zum Signieren vor.

emi