Weinheim

Worüber sich die Weinheimer Landwirte tatsächlich aufregen

Die Kürzung der Agrardiesel-Subvention war für die Bauern nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sie ärgern sich über zu viel Bürokratie und Kontrolle, wie die Beispiele aus Weinheim zeigen.

Erst an einem Tisch im Grünen-Parteibüro, dann vor dem Rodensteiner Brunnen: Weinheimer Bauern und die Grünen-Politikerinnen Fadime Tuncer und Elisabeth Kramer (vorne) diskutierten über Agrarpolitik. Foto: Bündnis 90 / Die Grünen
Erst an einem Tisch im Grünen-Parteibüro, dann vor dem Rodensteiner Brunnen: Weinheimer Bauern und die Grünen-Politikerinnen Fadime Tuncer und Elisabeth Kramer (vorne) diskutierten über Agrarpolitik.

Grüne Politik ist für manchen Bauern ein rotes Tuch. Dass sie ausgerechnet im Grünen-Büro in Weinheim über Agrarpolitik reden sollten, löste bei einigen Landwirten angesichts der Berliner Agrardiesel-Beschlüsse Unbehagen aus. Aber sie kamen, auch die skeptischen unter ihnen, gemeinsam mit dem Weinheimer Ortsvorsitzenden des Bauernverbandes Karl Bär. Die Grüne Landtagsabgeordnete Fadime Tuncer hatte die Landwirte zu einem vertiefenden Austausch in ihr Wahlkreisbüro eingeladen.

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„Die Landwirte ernähren unsere Gesellschaft. Wir müssen gemeinsam Wege finden, die Landwirtschaft zukunftsfest zu machen und den Bauern angemessene Einkommen zu sichern“, sagte Tuncer, die sich in Folge der Trecker-Proteste bereits mehrfach mit hiesigen Bauern getroffen hat. Über zwei Stunden diskutierten die acht Landwirte mit der Landespolitikerin und der Grünen-Fraktionsvorsitzenden im Weinheimer Stadtrat, Elisabeth Kramer. Das Ergebnis: „Mehr Verständnis und Gemeinsamkeit als erwartet“, heißt es in einer Pressemitteilung der Grünen-Abgeordneten.

Anfang Januar rollten die Trecker auch durch Weinheim. Foto: Fritz Kopetzky
Anfang Januar rollten die Trecker auch durch Weinheim.

Immer mehr Papierkram

In der Diskussion wurde deutlich: Die Kürzung der Agrardiesel-Subvention war für die Bauern der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sie ärgern sich über zu viel Bürokratie und Kontrolle, Wettbewerbsnachteile durch hohe Öko- und Sozialstandards, fehlende Marktmacht. „Jedes Jahr kommt eine neue Verordnung und noch mehr Papierkram dazu“, schimpfte Christoph Schröder vom Milchhof in Weinheim. „Früher passte die Büroarbeit eines Bauern in zwei Schubladen“, ergänzt Michael Jungmann aus Wünschmichelbach. Heute beschäftige er eine Halbtagskraft.

Beim nächsten Kollegen verbringt die Mutter ihre Sonntage am Schreibtisch, der dritte Landwirt setzt sich allmorgendlich selbst um fünf Uhr ins Büro. Je nach Betriebsgröße, Produktionsweise und Erzeugnis belaste die eine Verordnung mehr, die andere weniger. „Mich stört das neue Weingesetz“, sagte Winzer und Direktvermarkter Michael Raffl aus Hohensachsen und fügt hinzu: „Wir müssen jetzt auf einem zweiten Flaschenetikett die Nährstoffe aufführen. Die Leute fragen nach dem Alkoholgehalt, nicht nach dem Nährwert. Aber ich habe jetzt doppelte Papierkosten.“

Aufgedrängte Kosten

Christoph und Richard Schröder, deren Familienbetrieb in der Weidsiedlung rund 300 Kühe und 1800 Hühner in drei mobilen Ställen zur Freilandhaltung unterhält, empören sich über die Bon-Pflicht an Milch-Tankstellen. „Rund 10 000 Milchautomaten werden abgebaut, weil man sie nur sehr kostenaufwendig mit Bon-Drucker nachrüsten kann. Viele Bauern wollen sich diese Kosten nicht auch noch aufdrängen lassen“, weiß er. „Für Bons, die ohnehin jeder wegwirft.“

Oder die Düngemittelverordnung, über die sich die Landwirte ebenfalls ärgern. „Statt bedarfsgerecht mit eigener Gülle zu düngen, fahre ich sie jetzt für 10 000 Euro zu Kollegen und kaufe dann für 20 000 Euro Mineraldünger für den eigenen Betrieb“, so Schröder. Mit der von den Grünen gewünschten Kreislaufwirtschaft habe das nicht viel zu tun.

Interessen besser zusammenbringen

„Ich verstehe ihre Wut“, so Fadime Tuncer, die selbst auf dem Land großgeworden ist. „Wir müssen versuchen, die Interessen der Bauern mit den Anforderungen des Klima- und Naturschutzes besser zusammenzubringen.“

Die Landwirte schilderten auch nachdrücklich die teilweise als schikanös erlebten Kontrollen, die den Regularien folgen. Der Zuschnitt der Ackerflächen werde alle paar Tage per Satellit fotografiert und mit den Angaben zur Hofgröße abgeglichen. „Wenn der Vater über die Grenze hinaus gemäht hat, werden wir wegen Subventionsbetrug sanktioniert“, sagte Jens Treiber aus Hemsbach, der 60 Milchkühe hat und Spargel anbaut. Die Kasse im Hofladen werde überprüft, ob die zwei Gramm für die Papiertüte vom Preis abgezogen worden seien.

"Handel macht sich die Taschen voll"

Was halten die Landwirte also von den aktuell diskutierten Vorschlägen der Ampel-Regierung? „Das Tierwohl-Label ist gut gemeint“, findet Jens Scheuermann, Landwirt aus Wünschmichelbach, „aber was bringt es uns? Wir investieren in höhere Standards und von den versprochenen Mehrerlösen macht sich der Handel die Taschen voll“.

Und Biosprit nur für Bauern? „Das wäre vielleicht ein Ansatz, wobei ich mir perspektivisch mehr vom Wasserstoff verspreche“, sagte Karl Bär. Hilfreich wäre für die Landwirte, die Inhaltsstoffe und Herkunftsbedingungen ausländischer Erzeugnisse auf den Etiketten kenntlich zu machen. „Damit alle wissen, in welche Nudeln die Eier aus Käfighaltung kommen“, so Schröder. „Gut wäre auch, die ausländische Ware aus den Supermarkt-Regalen zu nehmen, wenn unsere saisonalen Erzeugnisse reinkommen.“ Denn preislich könnten gerade die Obstbauern bei den deutschen Mindestlohnzahlungen von 12,40 Euro gegen Spanien mit rund 6,55 Euro und Polen mit 4,90 Euro einfach nicht konkurrieren.

Die Weinheimer Bauern appellieren auch an die Verbraucher: „Am meisten ist der kleinstrukturierten familiären Landwirtschaft geholfen, wenn die Gesellschaft regional und saisonal bei den ansässigen Direktvermarktern kauft, unabhängig ob bio oder konventionell“, so die Meinung von Schröder und seine Kollegen.

Probleme wachsen auf vielen Feldern der Bürokratie

Fadime Tuncer bilanzierte: „Mir ist es wichtig, die tieferliegenden Ursachen des Protests zu verstehen. Die Probleme der Bauern sind auf den vielen Feldern der Bürokratie gewachsen, gut gedüngt mit Kontrollen und vielen Förderanträgen.“ Nach Ansicht der Landtagsabgeordneten brauchen die Landwirte Planungssicherheit, eine Bürokratie mit Augenmaß, weniger Kontrollen und vereinfachte Verfahren. Was an Regelungen für die Lebensmittelindustrie richtig sein mag, passe noch lange nicht auf die Direktvermarktung eines landwirtschaftlichen Betriebs. Tuncer: „Hier muss abgespeckt werden.“