Birkenau

„Birkenau kein Geisterstädtchen“

Bündnis 90/Die Grünen werfen der SPD schwere Fehler in der Argumentation im Zusammenhang mit der Pension Berghäuser vor.

Auch wenn sich eine knappe Mehrheit in der Gemeindevertretung gegen die Nutzung der ehemaligen Pension Berghäuser ausgesprochen hat, dauern die Diskussionen in Birkenau weiter an. Foto: Fritz Kopetzky
Auch wenn sich eine knappe Mehrheit in der Gemeindevertretung gegen die Nutzung der ehemaligen Pension Berghäuser ausgesprochen hat, dauern die Diskussionen in Birkenau weiter an.

„Vor große Probleme stellt die Entscheidung der Gemeindevertretung vom 20. Juni die Verwaltung der Gemeinde Birkenau.“ Diese Auffassung vertreten die Birkenauer Grünen in einer Pressemitteilung. Wie berichtet, ist Birkenau durch das hessische Landesaufnahmegesetz und der darauf aufbauenden Entscheidung des Kreises Bergstraße verpflichtet, alle drei Monate etwa 30 derzeit im Zeltlager des Landkreises in Bensheim lebende Flüchtlinge mit Bleiberecht unterzubringen.

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Da dies in angemieteten Wohnungen nicht vollumfänglich zu realisieren ist, hatte der Gemeindevorstand entschieden, die ehemalige Pension Berghäuser als „Puffer“ anzumieten. Hier sollten 30 Flüchtlinge untergebracht werden, bis für sie entsprechender Wohnraum angemietet werden kann, sie die Pension verlassen und neu zugewiesene Flüchtlinge nachrücken können. Auf diese Weise könnte, so der Plan, womöglich vermieden werden, Containerlager auf den Sportplätzen oder anderswo aufzustellen.

Durch die knappe ablehnende Entscheidung in der Gemeindevertretung (14 Nein, 12 Ja und 2 Enthaltungen) sei dieser Plan nun gescheitert und die Verwaltung gezwungen, andere Wege zu gehen – quasi als „Plan B oder C“, wie dies die SPD in einer Stellungnahme (WN/OZ vom 1. Juli) gefordert habe. Angekündigt habe das Rathaus hier die Nutzung gemeindeeigener Einrichtungen, von derzeit vermieteten Objekten bis hin zu Dorfgemeinschaftshäusern und Hallen.

BCV fürchtet Auflösung

Erste Reaktionen seien schon zu erkennen: In seiner Mitgliederversammlung habe der BCV darauf hingewiesen, dass aufgrund der Kündigung seiner Wohnung in der Hauptstraße 151 nicht sicher gesagt werden könne, ob der Verein überhaupt noch bestehen bleiben werde und ob Faschingssitzungen in der kommenden Kampagne noch stattfinden könnten. „Mit der Entscheidung gegen die Anmietung der Pension Berghäuser trägt die SPD dazu bei, Optionen für die Flüchtlinge zu begrenzen, und wäre daher mitverantwortlich für die Auflösung des BCV“, schreiben die Grünen. Nicht absehbar sei, was die vorübergehende Nutzung von Sporthallen für das kommunale Zusammenleben bedeuten würde.

In ihrer Stellungnahme habe die SPD ihr Nein zur Anmietung der Pension Berghäuser damit begründet, dass sich Birkenau keine „finanziellen und planerischen Blindflüge mehr leisten“ könne. „Sollte mit dem Wort ‚mehr‘ das von der SPD bis zum Schluss unterstützte Bürgerhaus gemeint sein, wurde dieser Blindflug zum Glück durch eine aktive Bürgerinitiative verhindert.“ Bezogen auf die Pension sehe die SPD den Mietpreis von fast 10 000 Euro im Monat als „völlig unangemessen“ an – und begehe den Fehler, den Betrag auf den Quadratmetermietpreis umzurechnen und diesen mit einer Wohnraummiete zu vergleichen. Richtig sei dagegen die Feststellung, dass von der Gemeinde ein Gewerbeobjekt in Gestalt eines Beherbergungsbetriebes angemietet werde, sodass sich ein Vergleich mit den dort zu zahlenden Kosten aufdränge. Dies führe dann zu Kosten, die deutlich unter dem Niveau des Tagessatzes in einer Jugendherberge lägen.

„Täuschung der Bürger“

Völlig verschwiegen werde von der SPD, dass die Kosten fast vollständig vom Land Hessen bzw. vom Bund getragen würden, was in den Sitzungen des Haupt- und Finanzausschusses sowie in der Sitzung der Gemeindevertretung von der Verwaltung nachdrücklich betont worden sei. Wer von einem „finanziellen Blindflug“ spreche, täusche die Bürger.

Auch ein „planerischer Blindflug“ sei nicht vorgesehen gewesen. Hier spreche die SPD von einer Zeit von acht Wochen, um aus einer „Bruchbude“ eine bezugsfertige Unterkunft werden zu lassen. Dies entspricht nicht dem, was mit dem künftigen Vermieter vereinbart worden war. Dieser, ein Bauträger mit einer ganzen Handwerkermannschaft, habe das Objekt bis zum 1. November bezugsfertig machen sollen, sodass die zur Verfügung stehende Zeit von vier Monaten doppelt so lange sei, wie es die SPD errechnet habe.

Positiv an der Stellungnahme der SPD sei, dass die „schlimmsten Verirrungen“, die ihre Sprecherin in der Sitzung der Gemeindevertretung vorgetragen habe, nicht mehr wiederholt würden: So habe sie von 100 leer stehenden Wohnungen in Birkenau gesprochen. Selbst wenn es diese gäbe und Birkenau teilweise ein „Geisterstädtchen“ wäre, verkenne die SPD dabei, dass nicht jede leer stehende Wohnung von deren Eigentümer an die Gemeinde vermietet werde. Dies räume die SPD am Ende ihrer Stellungnahme auch ein, in der nur noch von mehreren Dutzenden leer stehende Wohnungen gesprochen werde, ohne eine konkrete Zahl zu nennen. Wie viele davon dann tatsächlich angemietet werden könnten, sei aber leider nicht bekannt.

Den schlimmsten Fauxpas wiederhole die SPD glücklicherweise nicht: So habe die SPD-Sprecherin in der Gemeindevertretung gefordert, dem Kreis keine Flüchtlinge abzunehmen und stattdessen einfach abzuwarten, was passiere. „Dies bedeutet nicht weniger, als dass unsere Gemeindeverwaltung aufgefordert wurde, sich gegen das geltende Gesetz zu stellen“, heißt es weiter in der Stellungnahme. Dass sich Birkenau auf der Gesetzestreue der anderen kreisangehörigen Gemeinde einen schlanken Fuß mache, sei alles andere als solidarisch.

Wichtig sei den Grünen, dass „die zu uns kommenden Menschen nicht nur als Kostenfaktoren gesehen werden dürfen, sondern als Menschen mit Bleiberecht“. Diese sollten, wenn sie in Birkenau bleiben, möglichst schnell in normale Wohnverhältnisse wechseln, beruflich aktiv werden und damit dazu beitragen, den auf dem Arbeitsmarkt an viel zu vielen Stellen herrschenden Mangel zu beseitigen, gesellschaftlich aktiv werden und sich vielleicht auch in den Vereinen engagieren. Junge Menschen bedeuteten auch hier viele Potenziale. „Begreifen wir die Migranten nicht nur als Kostenfaktoren, sondern als Chance und die anfallenden Kosten als Investitionen für eine gemeinsame Zukunft“, schreiben die Grünen abschließend.