Weinheim

Konstantin Wecker: „Ich habe im Knast gelernt, was Freiheit bedeutet“

Der Liedermacher ist Autor, Schauspieler und politisch engagiert. Im Vorfeld des Konzertes am 19. März in Weinheim spricht er mit unserer Redaktion über Faschismus, Frieden ohne Waffen, über das Scheitern im Leben und die Droge „Poesie“.

Konstantin Wecker tritt am 19. März in der Stadthalle auf. Foto: Thomas Karsten
Konstantin Wecker tritt am 19. März in der Stadthalle auf.

Wer Konstantin Amadeus Wecker lediglich als Liedermacher wahrnimmt, übersieht sein ungemein vielfältiges künstlerisches Schaffen. Der 1947 in München geborene Allrounder komponiert für Film, Fernsehen und Musiktheater. Er veröffentlicht Prosa und Lyrik und spielte markante Film- und Fernsehrollen. Unsere Redaktion sprach mit dem Künstler über Faschismus, Frieden ohne Waffen, über das Scheitern im Leben und die Droge „Poesie“.

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Herr Wecker, Sie gastieren am 19. März mit Ihrem Programm „Lieder meines Lebens“ in der Stadthalle in Weinheim. Gab es in Ihrer langjährigen Karriere jemals eine Zeit, in der Lieder wie „Heut´ Nacht haben’s den Willi erschlagen“, „Steh´auf und misch dich ein“ oder Hannes Waders „Es ist an der Zeit“ so erschreckend aktuell waren?

Konstantin Wecker: Zunächst einmal: Ich werde sowohl das Hannes Wader-Lied als auch den „Willi“ am 19. März in meinem Programm haben. „Es ist an der Zeit“ ist für mich übrigens das beste deutschsprachige Antikriegslied. Hannes Wader, Reinhard Mey und ich haben es 2003 anlässlich der Friedens-Kundgebung gegen den Irakkrieg vor mehr als 100 000 Menschen in Berlin gesungen. Ich bin entsetzt, in welcher Zeit wir gerade leben. Als kurz nach der Wende die ersten Ausländerheime brannten, hätte ich im Traum nicht geglaubt, dass der Faschismus bei uns eines Tages wieder um sich greifen würde. Erschreckend ist auch, dass diese politische Bewegung europaweit zunimmt.

Foto: Thomas Steinborn

Zurzeit beherrscht die Weigerung des Kanzlers, den Marschflugkörper Taurus an die Ukraine zu liefern, die Medien. Wie stehen Sie als überzeugter Pazifist zur Waffenlieferung an die Ukraine?

Wecker: Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht von der Idee abweichen werde, dass Frieden ohne Waffen möglich ist. Vor allem in der Kunst muss dieses Credo bestehen bleiben. Auf der anderen Seite würde ich meine Überzeugung niemals jemandem überstülpen wollen. Für mich habe ich jedoch entschieden, dass ich mich lieber an die Wand stellen lasse, als jemals zur Waffe zu greifen. Zurzeit wäre es gut, Stefan Zweigs „Die Welt von gestern“ zu lesen. Denn was im Moment passiert, erinnert auf makabre Art an die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Und es ist wieder einmal bezeichnend, dass diejenigen für den Krieg sind, die nicht selbst in den Krieg ziehen.

Herr Wecker, lassen Sie uns die Politik verlassen und von der Poesie sprechen. Sie haben einmal erwähnt, dass Ihnen die mehr als 600 Lieder und Gedichte, die Sie in Ihrem Leben geschrieben haben, einfach passiert sind, dass Sie also nie auf ein bestimmtes Programmthema hingearbeitet haben und dass Sie ungeheuer dankbar für diese Gabe sind.

Wecker: Ja, dafür bin ich dankbar. Ich denke gerade an die Kabarettsendung „Scheibenwischer“ mit dem von mir sehr verehrten Dieter Hildebrandt. Damals hat mich der Regisseur Sammy Drechsel gebeten, einen Text zu einem bestimmten Programm-Thema zu schreiben. Den Wunsch konnte ich ihm jedoch leider nicht erfüllen, denn schreiben nach Auftrag geht bei mir nicht. Auch als ich den „Willi“ geschrieben habe, wusste ich nicht, wird es ein lustiges oder tragisches Lied. Erst als ich es meinen damaligen Musikern vorgesungen habe, merkte ich, wie sehr sie davon berührt waren.

Abgesehen von Ihrem warmen Bariton, gibt es noch eine Kunst, die Sie beherrschen: Es ist die Art, wie Sie Ihre Lyrik- und Prosatexte vortragen: diese sonore Stimme, das suggestive Sprechen, die Satzmelodie, das rollende „R“. Wie wichtig ist es für einen Autor, seine Texte gut vortragen zu können?

Wecker: Sehr, sehr wichtig. Vielleicht hat meine deutliche Sprache damit zu tun, dass ich bei der Opernsängerin Marianne Schech Gesang studiert habe. Oder es könnte auch damit zu tun haben, dass ich das Wort so ernst nehme und mich ihm ganz hingeben kann. Meinen Studenten habe ich auch immer ans Herz gelegt, dass ein Lied gut sein kann, es muss aber auch verstanden werden.

Herr Wecker, Sie nehmen unter den deutschen Liedermachern schon deshalb einen Sonderstatus ein, weil Sie Ihr gesangliches und pianistisches Handwerk souverän beherrschen. Hätten Sie sich auch eine Karriere als Studiomusiker oder Komponist für Filmmusik vorstellen können?

Wecker: Als Filmkomponist ja, denn das habe ich ja auch gemacht. Im Oktober dieses Jahres gehe ich mit meinem Programm „Soundtrack meines Lebens“ auf Tour. Darin verbeuge ich mich vor Regisseurinnen und Regisseuren wie Margarete von Trotta oder Helmut Dietl, mit denen ich gearbeitet habe. Ich habe zum Beispiel Musik für „Kir Royal“ oder „Schtonk“ geschrieben, um nur einige Produktionen zu nennen. Ich vergesse nie den wunderbaren Helmut Dietl, wenn er meine Musikvorschläge erst einmal mit „Das ist nicht witzig“, abgetan hat. Was er mit dem „witzig“ gemeint hat, habe ich erst verstanden, als er für die Schtonk-Szene mit dem unsterblichen Ausspruch „Der Führer brennt nicht“ Zarah Leanders „Davon geht die Welt nicht unter“ ausgesucht hat.

Mit Ihrem langjährigen Pianisten Jo Barnickel bilden Sie auf der Bühne eine Einheit. Sie haben einmal gesagt, dass Sie niemand so gut versteht, wie er. Trotzdem sind die Momente in Ihren Konzerten, in denen Sie zu Ihren Liedern selbst in die Tasten greifen, ganz besondere Augenblicke. Werden diese Momente immer seltener?

Wecker: Ich sitze in den letzten Jahren tatsächlich weniger am Klavier, da ich mich auf der Bühne einfach mehr bewegen möchte. Zumal ich im Moment mit dem Sitzen sowieso große Probleme habe, da ich unter den Nachwirkungen eines Unfalles mit Wirbelfraktur leide. Die Schmerzmedikation habe ich abgesetzt, da ich mich auch Jahrzehnte nach meiner Drogenzeit vor Süchten jeglicher Art in Acht nehme.

Sie waren von jeher jemand, der ausbricht, der jede Art von Fesseln abstreift, der als junger Mann von den Texten des österreichischen Dichters Georg Trakl berauscht war. Ihre freiheitsliebenden Eltern ließen Sie einfach machen und bewerteten Sie nie nach bürgerlichen Maßstäben. Ihre konstante Ausbruchswut brachte Sie dann auch mit dem Gesetz in Konflikt. Wie wichtig waren diese Höhen und Tiefen für ihr künstlerisches Schaffen?

Wecker: Natürlich hat mich das Leben mit allen Hochs und Tiefs geprägt. Als junger Mann war ich zynisch, eitel und narzisstisch, habe immer wieder Dämpfer bekommen, die jedoch wichtig waren. Während meiner Zeit im Knast habe ich gelernt, was Freiheit bedeutet. Jahrzehnte später schrieb ich mein Buch „Die Kunst des Scheiterns“, eine Geschichte über die Lektionen des Lebens.

Ihre Drogen-Erfahrung liegt lange hinter Ihnen. Aber ist es nicht auch eine Droge, wenn Sie auf der Bühne stehen und spüren, wie die Menschen an Ihren Lippen hängen?

Wecker: Nennen Sie es Droge oder Meditation, wenn ich auf der Bühne ganz in meiner Poesie ruhe. Ich könnte niemals im stillen Kämmerlein vor mich hinschreiben, denn ich brauche die Bühne, die Begegnung mit den Menschen und das Gefühl, mit meinen Liedern und Gedichten etwas zu bewegen.

Für das vom Musiktheater Rex am 19. März, 20 Uhr in der Weinheimer Stadthalle veranstaltete Konzert gibt es noch wenige Restkarte an der Abendkasse oder unter www.musiktheater-rex.de