Birkenau

Penisse und Ufos: Die Botschaften in den Kunstwerken von Andreas Tschiedel

Unter dem Künstlernamen "El Scorcho" schafft Andreas Tschiedel aus Birkenau Kunst, die er unter anderem an angesagte Clubs und Restaurants verkauft - und bei der man sich nicht wundert, wenn plötzlich Quentin Tarantino aufkreuzen würde.

Der Künstler El Scorcho, bürgerlich Andreas Tschiedel, aus Birkenau. Das Werk rechts mit dem Titel "Der große Bonobonator hatte nichts und davon viel" thematisiert Machtstrukturen. Foto: Verena Müller
Der Künstler El Scorcho, bürgerlich Andreas Tschiedel, aus Birkenau. Das Werk rechts mit dem Titel "Der große Bonobonator hatte nichts und davon viel" thematisiert Machtstrukturen.

Ein riesiger roter Penis, der von einem Gorilla mit Kuchen beworfen wird, ein Clown, der einen Mann frühstückt und Roland Reagan, der einem Ufo zuwinkt und dabei gar nicht zu bemerken scheint, dass er gleich von überdimensionalen insektenähnlichen Wesen angegriffen wird: Egal, wer die Kunstwerke von El Scorcho betrachtet, kalt lassen sie kaum jemanden. "Entweder die Leute lieben es, oder sie sagen mir: ,Das ist total gestört. Das könnte ich mir nicht in die Wohnung hängen, da könnte ich nachts nicht mehr schlafen.' Das ist ja fast schon ein Kompliment", sagt der Künstler, der mit bürgerlichem Namen Andreas Tschiedel heißt. "Kunst sollte polarisieren. Das Schlimmste wäre aus meiner Sicht, man läuft daran vorbei und bemerkt sie gar nicht."

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Wo der Künstlername "El Scorcho" herkommt

Andreas Tschiedel (50) steht an diesem Tag im Gewölbekeller des Darmstädter Pädagogs. Obwohl es noch Winter ist, trägt er eine kurze Hose - das Markenzeichen des Birkenauers. An den Wänden hängen seine Werke, die an Leuchtreklame-Tafeln erinnern. Das verrät schon etwas über seinen Werdegang. Nach Schule, Fachabitur und Studium arbeitete Tschiedel viele Jahre als Grafiker in der Werbung. Inzwischen ist er selbständig, unter dem Künstlernamen "El Scorcho", den er sich 2010 zulegte. Es ist ein Slang-Begriff, der in etwa "Masturbieren mit scharfer Soße" bedeutet. Ob er das schon mal ausprobiert hat? "Ja klar, deshalb habe ich so einen roten Kopf", lacht Tschiedel. "Nur Spaß, ich dachte einfach: Nenn dich wie irgendein Quatsch."

Blick in die Ausstellung: Derzeit sind Werke von El Scorcho im Gewölbekeller des Pädagog in Darmstadt zu sehen. Das Yeti-Kostüm in der Mitte stammt aus einer Werbeaktion für sein T-Shirt-Label. "Und sieht in erster Linie lustig aus", sagt der Künstler. Foto: Verena Müller
Blick in die Ausstellung: Derzeit sind Werke von El Scorcho im Gewölbekeller des Pädagog in Darmstadt zu sehen. Das Yeti-Kostüm in der Mitte stammt aus einer Werbeaktion für sein T-Shirt-Label. "Und sieht in erster Linie lustig aus", sagt der Künstler.

Aber ganz und gar kein Quatsch sind die Werke, die Tschiedel da am Computer erschafft. Nach Comiczeichnungen als Jugendlicher, Arbeiten in Tusche, Acryl, Öl und mit Aquarellfarben, macht er digitale Kunst - vielschichtig und hintergründig. Da wäre zum Beispiel das überdimensionale, monströse Wesen ganz in Schwarz, mit leuchtenden Augen, irgendwo über sein Hinterteil an eine Steckdose angeschlossen. Seltsam starr und abwesend, der riesige, halb erigierte Penis erleuchtet - ebenso wie die Augen. "Die Penisse, die täuschen den Betrachter. Erst mal fällt der Blick darauf. Dabei geht es um die Digitalisierung, es ist nur noch die geistige Notbeleuchtung an, die Verbindung zur Außenwelt ist komplett verloren gegangen", sagt Tschiedel über sein Werk, das - zur Erinnerung - digital entstanden ist. "Ich sehe die Technik als Werkzeug, die für mich und mit der ich arbeite - nicht umgekehrt."

Foto: Verena Müller

Machtstrukturen in El Scorchos Bildern

Wie funktioniert Macht? Welche Strukturen hat sie? Wie funktionieren gesellschaftliche Hierarchien? Die Geostrategie, die er "das große Schachbrett" nennt - das sind Tschiedels Themen. Und Andy Warhols philosophische Frage, ob nun das Leben die Kunst oder die Kunst das Leben inspiriert - und dann eben auch skurrile Nachrichten-Meldungen wie die von einem Japaner, der sich für viel Geld in einen Golden Retriever verwandeln lassen wollte. "Da fahre ich drauf ab, wenn ich so etwas höre, dann kann ich gut malen." Und dann entsteht so eine Botschaft wie "der Gipfel der Beklopptheit kommt noch".

Ab und zu designt Andreas Tschiedel auch Lederjacken. Foto: Verena Müller
Ab und zu designt Andreas Tschiedel auch Lederjacken.

Die Figuren, die El Scorcho erschafft, sind übrigens auch in Kurzfilmen zu sehen. Die wurden schon ausgezeichnet und haben ihn auch nach Florida (USA) auf ein Filmfestival geführt. Auf dieser Reise sind kleine Selbstporträts entstanden, voller Humor und mit einem selbstironischen Blick auf sich selbst und auf die schräge Welt da draußen. Drei Stunden am US-Zoll, ein abgeranztes Hotel, das Taxifahrer meiden und eine Bar, die eigentlich ein Schnapsladen ist und von zahnlosen Einheimischen besucht wird - man würde sich nicht wundern, wenn Quentin Tarantino um die Ecke käme.

Die Selbstbildnisse entstanden im Rahmen einer Reise zu einem Filmfestival in Florida. Sie zeigen El Scorcho unter anderem während der dreistündigen Wartezeit beim US-Zoll. Foto: Verena Müller
Die Selbstbildnisse entstanden im Rahmen einer Reise zu einem Filmfestival in Florida. Sie zeigen El Scorcho unter anderem während der dreistündigen Wartezeit beim US-Zoll.

Seine Kunden sind neben angesagten Clubs und Restaurants auch Privatleute, sagt Andreas Tschiedel. In jedem Fall Menschen, die sich nicht mit einem schnellen Blick zufrieden geben.

Mag das Große, Plakative auch provokant wirken, eigentlich stecken die wichtigsten Botschaften von El Scorcho in den kleinen, fast schon winzigen Details. Ein gelbes Auto, das am Bildrand die Flucht ergreift, menschliche Figuren ja nach Referenz ameisenklein oder riesenhaft, der Mensch, kopfüber im Maul eines Clowns.

Die Werke von El Scorcho sind noch am 25. Februar ab 20 Uhr bei der Finissage im Darmstädter Pädgog, Pädagogstraße5, zu sehen. T-Shirts, Hoodies, Caps und weitere Merch-Artikel gibt es auf Etsy.