Glaube

Weinheimer Kirche geht gegen Missbrauch vor

Die Kirchengemeinde ist erschüttert über die Ergebnisse der Freiburger Aktenanalyse. Wie sie gegen Missbrauch vorgehen wollen, erklären die Verantwortlichen der Seelsorgeeinheit Weinheim-Hirschberg im WN-Gespräch.

Der Kirchensaal von St. Laurentius: Die Seelsorgeeinheit Weinheim-Hirschberg zieht ihre Konsequenzen aus den Fehlern der katholischen Kirche. Foto: Sascha Lotz
Der Kirchensaal von St. Laurentius: Die Seelsorgeeinheit Weinheim-Hirschberg zieht ihre Konsequenzen aus den Fehlern der katholischen Kirche.

Weinheim. Die katholische Kirche in Weinheim zeigt sich entrüstet über den Skandal um die Vertuschung von Missbrauchsfällen in der Erzdiözese Freiburg. Pfarrer Joachim Dauer drückt im Gespräch mit den WN „Erschütterung“ und „Fassungslosigkeit“ aus. Gemeinsam mit Mitgliedern des Arbeitskreises Prävention erklärt der Leiter der Seelsorgeeinheit Weinheim-Hirschberg, wie der Pfarrverband gegen Missbrauch und Grenzüberschreitungen vorgeht.

„Ich habe die Nachrichten natürlich verfolgt“, sagt Pfarrer Dauer (kleines Bild). „Manches konnte man ahnen, anderes habe ich erfahren.“ Über die schlussendliche Dimension des Leitungsversagens sei er aber bestürzt. Keine Worte, die leicht über die Lippen kommen. Immerhin kannte er die besagten Leitungspersonen, die nun besonders im Fokus stehen – davon eine gut. Vom ehemaligen Erzbischof Oskar Saier wurde er geweiht. Mit seinem Nachfolger und ehemaligen Personalreferenten Robert Zollitsch war er jahrzehntelang bekannt. „Für das Geschehene können wir als Kirche vor Ort nichts. Was wir können, ist zu versuchen, unsere Schutzbefohlenen vor potenziellen Gefährdungssituationen zu bewahren.“

Strenge Vorkehrungen

Zu diesem Zweck gibt es in der Seelsorgeeinheit seit einigen Jahren strenge Vorkehrungen. „Im Grunde handelt es sich um drei Maßnahmen“, erklärt Pfarrgemeinderätin Antje Blank. Neben Schulungen und Selbstverpflichtungen zum grenzwahrenden Umgang müssen alle Erweiterten Führungszeugnisse von Ehren- und Hauptamtlichen, die mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt kommen, überprüft werden. „Dabei müssen wir schauen, wer in welchem Level Umgang mit Schutzbefohlenen hat. Das betrifft natürlich nicht jeden, der im Chor singt“, so Blank. Pfarrer Dauer beschreibt es als Risikoabwägung von Veranstaltungsformat und Örtlichkeit. „Wo besteht die Gefahr, dass sich jemand verdrückt, verschwindet?“ Gemeindereferentin Gabi Mihlan-Penk ergänzt Besuche bei Kranken und bei älteren Menschen, beispielsweise in ihrem Pflegeheim oder bei ihnen Zuhause.

Pastoralreferent Wolf-Dieter Wöffler erklärt, um was es in den Schulungen zum grenzwahrenden Umgang geht. Es wird eine hohe Sensibilität zum Thema deutlich, das wie kein anderes das Image der Kirche in den vergangenen Jahren bestimmte. Wesentlicher Bestandteil ist die Bewusstmachung von Limits im gemeinsamen Umgang. Grenzen sind schnell überschritten, manchmal unbewusst. Wo sie verlaufen und wie sich Kirchenhelfer und -Mitarbeiter verhalten sollen, wird in den Schulungen penibel geübt. Unter anderem anhand von konkreten Fallbeispielen.

Der Alltag im Kirchendienst ist voll von tückischen Situationen. Gemeindereferentin Mihlan-Penk erzählt von einer: „Bei Ministranten passiert es ja häufig, dass das Gewand einmal schief hängt. Da ist man natürlich schnell geneigt, es selbst gerade zu zuppeln. Jetzt wissen wir, es ist wichtig zu fragen: ,Möchtest du, dass ich es richte’? Dabei habe ich auch schon erlebt, dass ein Ministrant sagt: ,Nein, das mache ich lieber selbst.’“ So verhält es sich auch in anderen Situationen: Darf ich mich zu dir ans Krankenbett setzen? Ist es okay, wenn ich dir die Hand auflege? Möchtest du, dass ich dich umarme?

Sind das schon Berührungsängste? „Es sind oft Kleinigkeiten“, gibt Mihlan-Penk zu, „aber mit den kleinen Sachen fängt es an. Für manche sind es genau die Strategien, um jemandem näherzukommen.“ Die neuen Regeln gefallen nicht jedem auf Anhieb. Der eine oder andere Kirchenhelfer empfindet sie als ehrenrührig, erzählt Pfarrer Dauer. Dabei komme es auch zu Abwehrhaltungen: „Wenn das jetzt auch noch verlangt wird, mache ich nicht mehr mit.“ Ein Problem für die Institution, die dringend auf ihre Ehrenamtler angewiesen ist. „Wir möchten nicht, dass Menschen abgeschreckt werden, sich bei uns zu engagieren“, sagt Pfarrgemeinderätin Antje Blank. „Wir müssen an den Punkt kommen, dass der neue Umgang zum Standard, zur Normalität wird.“

Niemand hörte zu

„Wenn man zurückblickt, war ein Problem vieler Opfer, dass sie keine Stelle gefunden haben, die ihnen zuhört“, berichtet Blank. Ein Umstand, der glücklicherweise behoben wurde. Heute gibt es ein vielgliedriges Netzwerk an kirchlichen, aber auch an unabhängigen Beratern. In der Seelsorgeeinheit Weinheim-Hirschberg stehen Gemeindereferentin Gabi Mihlan-Penk und Pastoralreferent Wolf-Dieter Wöffler als Ansprechpartner zur Verfügung.

Gab es hier denn schon Fälle körperlicher Grenzüberschreitungen? „Ja, bei mir ist ein Vorkommnis angesprochen worden“, sagt Mihlan-Penk. Der Vorfall habe sich nicht auf dem Boden der Seelsorgeeinheit abgespielt, aber unter deren Mitgliedern. „Die Person wollte sich uns mitteilen, hat dann aber an anderer Stelle Hilfe geholt.“ Pfarrer Dauer betont hingegen: „In den drei Jahren, in denen ich da bin, hatten wir keinen schlimmen Fall – Gott sei Dank.“ Wöffler erinnert sich an Grenzüberschreitungen, die sich zwischen Gleichaltrigen abgespielt haben. Damals sei es darum gegangen, was mögliche weitere Schritte sein könnten und welche Hilfsmöglichkeiten es gibt.

Das Thema Grenzüberschreitungen und Missbrauchsprävention haben im Kirchenalltag einen hohen Stellenwert erlangt. Vieles ist aus guten Gründen nicht mehr so unbeschwert, wie es einmal war. Und manches ist heute nicht mehr denkbar. „Besuche im Schwimmbad mit Jugendlichen beispielsweise“, so Pfarrer Dauer, „das ist etwas, dass ich nicht mehr mache. Diese Zeiten sind vorbei.“ Es sei schon so, dass dem kirchlichen Miteinander ein Stück die Spontanität, die Unbekümmertheit genommen wurde. Aber er will nichts beschönigen. Es ist große Not entstanden. „Und wir sind als Kirche intensiv an der Sache dran. Dass unsere Bereiche als sicherer Ort gelebt werden können.“