Weinheim

Darf man Menschen beim Suizid helfen?

Unsere Reporterin wollte der Frage nach der Beihilfe zum Suizid auf den Grund gehen und unterhielt sich mit Befürwortern und Kritikern der assistierten Selbsttötung.

Monika Leistikow von der Ökumenischen Hospizhilfe Weinheim-Neckar-Bergstraße. Foto: Philipp Reimer Fotografie
Monika Leistikow von der Ökumenischen Hospizhilfe Weinheim-Neckar-Bergstraße.

Sie wird von einer Minute zur anderen zum schweren Pflegefall, die 55-jährige Gymnasiallehrerin, die unverschuldet in einen Verkehrsunfall gerät. Durch eine Lähmung vom ersten Halswirbel an muss die ehemals sportliche Frau rund um die Uhr betreut werden. Auch der 42-jährige Kunsthändler ist auf eine 24-Stunden-Pflege angewiesen. Eine Multiple Sklerose hat nahezu sämtliche Körperfunktionen außer Kraft gesetzt. Ähnlich geht es einer 77-jährigen ehemaligen Apothekerin, die durch eine Muskeldystrophie zum Schwerst-Pflegefall wird. Drei Menschen, die sich nie kennen gelernt haben, die jedoch eines miteinander verband – der sehnliche Wunsch, ihr qualvolles und würdeloses Leben zu beenden. Dass sie schließlich im Kreise ihrer Familien friedlich einschlafen durften, ermöglichte ihnen die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) in Berlin. Unsere Reporterin unterhielt sich mit einem Heppenheimer Berater der Initiative und fragte die Ökumenische Hospizhilfe in Weinheim, wie sie zur Hilfe zum Suizid steht.

WNOZ WhatsApp-Kanal

Die Weinheimer Nachrichten und Odenwälder Zeitung auf WhatsApp! Aktuelle Nachrichten aus deiner Region. Die Top-Themen jeden Mittag frisch auf dem WhatsApp-Kanal.

Impressum

Über das Leben und dessen Ende

Die Lehrerin, der Kunsthändler und die Apothekerin: Sie sind nur drei von mehr als hundert Fallschilderungen aus dem Weißbuch der DGHS, in dem seit 2020 assistierte Suizide dokumentiert werden. Mit einem Grundsatzurteil, das für Deutschland fraglos eine Zäsur bedeutete, hat das Bundesverfassungsgericht am 26. Februar 2020 festgestellt, dass jeder über sein Leben und damit auch über dessen Ende verfügen kann. Schließlich wurde beim Deutschen Ärztetag im Mai 2021 Berufsordnung dahingehend geändert, dass Mediziner freiwillig und straffrei bei der Selbsttötung eines Menschen Hilfe leisten dürfen. „Das heißt jedoch nicht, dass der Arzt die tödliche Injektion verabreichen darf. Er legt lediglich den Zugang, die Infusion muss der Sterbebereite selbst in Gang setzen.“ Das erklärt Siegfried Haupt, Regional-Berater der DGHS aus Heppenheim, in einem Gespräch mit unserer Reporterin.

Auch die kräftige Sonne, die an diesem Wintertag in das Café scheint, macht das Gesprächsthema nicht leichter. Aber wieso eigentlich? Friedlich und schmerzfrei im Kreise seiner Liebsten aus dieser Welt zu scheiden, das ist doch ein Wunsch, den die meisten insgeheim hegen dürften. Tatsächlich sieht die Realität aber anders aus. Die Statistiken besagen, dass ein Großteil der Menschen in Kliniken und Pflegeheimen sterben. Und das oft nach langem Leiden. „Warum soll ein schwerstkranker oder lebenssatter Mensch nicht selbstbestimmt sterben dürfen?“, fragt deshalb Siegfried Haupt, der sportliche Senior, der schon seit über zehn Jahren als ehrenamtlicher Berater für die DGHS tätig ist und seine Hilfe vor allem beim Ausfüllen von Patientenverfügungen anbietet.

Aber auch die assistierte Sterbehilfe kommt bei ihm oft zur Sprache. „Ich staune immer wieder, dass auch Menschen, die mitten im Leben stehen, auf den Freitod zu sprechen kommen. Manche von ihnen hätten am liebsten eine tödliche Pille, die sie in einem Tresor aufbewahren wie eine Art Hintertürchen“, erzählt Haupt und fügt hinzu, dass er stets darauf hinweise, dass die DGHS keine Sterbehilfe-Organisation sei. „Wir vermitteln vielmehr den assistierten Freitod unter Einhaltung juristischer und medizinischer Sicherheitsstandards.“

Wie funktioniert das?

Voraus gehen mehrere Beratungsgespräche mit Ärzten und Medizinern. Dabei werden zunächst die Möglichkeiten der Palliativ-Medizin besprochen. Ein weiteres Kriterium zur Durchführung der Freitodhilfe ist die volle geistige Zurechnungsfähigkeit des Betroffenen. „Das heißt, ein Mensch, bei dem die Diagnose ,Demenz’ gestellt wird, kann den assistierten Freitod nicht beantragen“, erklärt Siegfried Haupt. Das ist hart. Denn gerade, wenn jemand die Diagnose „Alzheimer“ erhält, ist in der Regel seine geistige Kompetenz noch nicht völlig eingeschränkt. Wäre es in diesem Fall nicht beruhigend für ihn, die Möglichkeit des selbstbestimmten Sterbens zu haben?

Was sagt die Hospizhilfe?

Unsere Reporterin wollte zu diesem brisanten Thema die Ansichten der Ökumenischen Hospizhilfe in Weinheim hören. In den Räumen des Vereins in der Bismarckstraße trifft sie sich mit den Vorständen. „Nein, wir verurteilen die Hilfe zum Suizid keineswegs“, betont der klinische Pharamakologe und das Vorstandsmitglied Prof. Dr. Ulrich Abshagen. Monika Leistikow, die Leiterin der Hospizhilfe fügt hinzu: „Was wir strikt ablehnen, ist die geschäftsmäßige Freitodhilfe und dazu gehört meines Wissens nach auch die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben in Berlin.“ Was sie damit andeutet, sind die nicht unerheblichen Gebühren, die die DGHS für die Leistungen der Anwälte und Mediziner verlangt.

Für die Betreuer der Ökumenischen Hospizhilfe komme eine aktive Rolle bei der Assistenz zum Suizid nicht in Betracht, erklärt Leistikow. Als Mitglied im Deutschen Hospiz- und Palliativ-Verband (DHPV) gehöre man zu den Unterzeichnern der „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen“ und befürworte ausdrücklich den natürlichen Verlauf des Sterbens. Die Begleiter der Ökumenischen Hospizhilfe würden dabei helfen, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, „dass ein Sterben in Würde möglich wird“, heißt es in den Leitlinien. Dabei nehme man die Perspektive der Fürsorge und des menschlichen Miteinanders ein.

Für den Fall, dass eine Person, die von der Ökumenischen Hospizhilfe begleitet wird oder begleitet werden möchte, den Wunsch nach assistiertem Suizid äußert, sehen die Leitlinien ein „respektvolles, unvoreingenommenes und ergebnisoffenes Gespräch“ mit dem Betroffenen und gegebenenfalls den Angehörigen vor. Dabei werde auch über alternative medizinische Angebote wie zum Beispiel ein stationäres Hospiz oder eine Palliativversorgung sowie über Möglichkeiten zur Verbesserung der Lebensqualität informiert. Weiter heißt es wörtlich in den Leitlinien: „Der Wunsch nach assistiertem Suizid beendet nicht per se die weitere Begleitung des Betroffenen sowie der Angehörigen. Ehrenamtlichen unseres Vereins ist es möglich, Menschen die durch Suizid aus dem Leben scheiden möchten, psychosozial zu begleiten.“ Allerdings lehne man eine aktive Rolle dabei ab, machte Vorsitzender Prof. Dr. Ulrich Abshagen noch einmal deutlich.

Dass die heutige Palliativmedizin mehr kann, als Schmerzen lindern, betont Prof. Dr. Hubert Bardenheuer, ehemaliger Chefarzt der Universitären Palliativstation am Krankenhaus St. Vincentius in Heidelberg. Er fügt hinzu, dass Hospizbetreuung nicht zwingend den Gegensatz zur Suizidhilfe bilden muss. „Auch wir versuchen, durch lindernde Maßnahmen die Selbstbestimmung des Patienten zu erhalten. Zudem wird beim Wunsch eines Schwerstkranken nach einem assistierten Suizid keinesfalls die Hospizhilfe eingestellt. Vielmehr betreuen die ehrenamtlichen Begleiter die Menschen, die ihr Leben beenden möchten, weiterhin psychosozial und stehen auch den Angehörigen zur Seite. „Wir haben übrigens die Erfahrung gemacht“, wirft Bardenheuer ein, „dass Menschen, die den Tod herbeisehnen, im Laufe einer Palliativbehandlung, die ihnen medikamentös Schmerzen und Ängste nimmt, oftmals gar nicht mehr sterben möchten.“

Hinweis: Der Beitrag wurde am 9. Februar um weitere Ausführungen der Ökumenischen Hospizhilfe ergänzt.