Weinheim

Peter-Härtling-Preis für David Blum

Starken Tobak vom Ich-Erzähler liefert David Blum, der neue Träger des Peter-Härtling-Preises, in seinem Roman „Kollektorgang“. Dort lässt er einen toten Jungen über sein Leben erzählen.

Mit dem Peter-Härtling-Preis wurde am Sonntag Autor David Blum für seinen Jugendroman „Kollektorgang“ ausgezeichnet. Die Verleihung nahmen in der Buchhandlung Beltz im Atrium Marianne Rübelmann (links) und Mechthild Härtling, die Witwe von Peter Härtling, vor. Foto: Katrin Oeldorf
Mit dem Peter-Härtling-Preis wurde am Sonntag Autor David Blum für seinen Jugendroman „Kollektorgang“ ausgezeichnet. Die Verleihung nahmen in der Buchhandlung Beltz im Atrium Marianne Rübelmann (links) und Mechthild Härtling, die Witwe von Peter Härtling, vor.

Dass Jugendliteratur ihren jungen Lesern die ganze Bandbreite von Realität zumuten darf, ja sogar muss, war ein Credo von Peter Härtling. Der 2017 verstorbene preisgekrönte Autor wäre deshalb wohl auch einverstanden gewesen, dass die Jury den seit 1984 vergebenen Peter-Härtling-Preis an David Blum für seinen Roman „Kollektorgang“ verlieh. Blum lässt darin den 13-jährigen Mario auf dem eigenen Grab sitzen und über sein kurzes Leben berichten. Aus der Ich-Perspektive wird starker Tobak serviert. Mit dem Wissen von der Endlichkeit des Lebens erzählt Mario, durch seine existenzielle Erfahrung zu Lebzeiten gereift, mit schwarzem Humor, verständlich und einfühlsam von tiefer Freundschaft, Trostlosigkeit und brutaler Gewalt.

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Verhinderter Laudator

Marianne Rübelmann überreichte am Sonntag zusammen mit Mechthild Härtling, der Witwe von Peter Härtling, in der Buchhandlung Beltz den mit 3000 Euro dotierten Preis. Eigentlich hätte sich David Blum während des offiziellen Teils bei Dr. Tilman Spreckelsen, dem Vorsitzenden der Jury, dafür bedankt, dass er hartnäckig sechs Anrufe tätigte, um die Nachricht des Preiszuschlags zu überbringen, ehe er den Autor in Leipzig erreichte, wo er mit seinen Kindern beim Puppentheater und auf dem Spielplatz gewesen war. Doch die Bahn brachte Spreckelsen gestern zu spät nach Weinheim.

Dass in dem 125 Seiten starken Jugendroman einiges an biografischen Elementen steckt, wurde beim Gespräch deutlich, das Blum mit Florian Valerius führte, dem Moderator der auch im Livestream übertragenen Preisverleihung. Valerius hatte zuvor die von Spreckelsen verfasste Rede zur Preisverleihung verlesen. Der Laudator bescheinigte David Blum die Gabe, Zwischentöne zu erkennen. Literaten wie er könnten durch ihr erzählerisches Talent die Hoffnung bewahren.

Trotz der Perspektive des toten Ich-Erzählers handelt „Kollektorgang“ vom Leben. In den Tiefen steriler Plattenbauten, deren Architektur die sozialen Verhältnisse symbolisieren, entdecken zur Zeit der Wiedervereinigung zwei rivalisierende Gruppen einen alten Kollektorgang. Dort wo die Versorgungsrohre verlaufen, wo Strom fließt und Wasser aus Rohren tropft, kommt es zu einer Spirale der Gewalt, zur am Ende tödlichen Auseinandersetzung mit einer Gang Neonazis.

Kein Ausweg für Hauptfigur

Was hätte geschehen sollen? Was hätte geschehen müssen, um die Geschichte anders enden zu lassen? „Es gab leider keinen Ausweg für Mario“, konstatiert der Autor selbst, ehe er einige wenige Stellen aus dem Buch vorlas und dabei auf starke Betonungen verzichtete.

Gegen die Erzählperspektive hatte er sich einige Zeit sogar selbst gewehrt, ließ er die Zuhörer wissen. „Dann erschien mir Mario irgendwie zu weise für seine 13 Jahre. Mit dem Hintergrund einer existenziellen Erfahrung, die ihm das Leben kostete, stimmte es dann wieder“, erklärte David Blum.

„Die Erwachsenen sind vor allem mit sich selbst beschäftigt“, beantwortete der Preisträger die Frage nach der Rolle von Vater und Mutter und anderer Erwachsener. Deutlicher entwickelt hat er die Figuren von Marios bestem Freund Rajko und seiner Schwester Ema sowie des Neonazis Nicki.

David Blum schreibt packend. Marios Sicht auf die Ereignisse, die Beschreibungen des düsteren Kollektorgangs sowie die Reflexionen zur trostlosen, aussichtslosen Lage der Kinder und Jugendlichen in der Plattenbausiedlung ist ergreifend, die Handlung spannend und mitreißend. Parallelen zwischen der Situation der Nachwendejugend im Osten Deutschlands und heutiger Tristesse und Unsicherheiten drängen sich auf.

Gute Kritik von jungem Leser

Können jugendliche Leser mit solch hartem Lesestoff klarkommen? Blum erinnert an die Härtling-Maxime, dass Kinder die ganze Realität zugemutet werden kann. „In Kinderzimmern gibt es so viele Laserschwertkämpfer und Spielzeug mit militanter Ausrichtung, dass man es sich kaum vorstellen kann. Außerdem erfahren Kinder von Bomben, die auf Schulen fallen, von Amokläufen und von Umweltzerstörung, die nicht verhindert wird“, stellte Blum klar und erhielt Beifall vom Publikum.

Dass junge Leser durchaus mit dem Stoff aus „Kollektorgang“ umgehen können, belegte Florian Valerius mit der Aussage, die der 15-jährige Nicolas im Magazin „Buchkultur“ zu Blums Roman machte: Der Teenager hält das Buch für ungewöhnlich und genial. Auch er hatte sich zunächst über die Tatsache gewundert, dass der Erzähler tot ist, aber in der Endlichkeit erscheint auch ihm alles in einem neuen Licht.