Rimbach

Aus der Rimbacher Initiative wird ein Verein

Mehr als 50 Menschen kommen zur Gründungsversammlung des Vereins „Erinnern – Gegen das Vergessen“ ins Rimbacher Rathaus. Dazu gibt es ein Grußwort, das unter die Haut geht.

Zahlreiche Rimbacher, junge und alte, versammeln sich, um den Verein aus der Taufe zu heben. Foto: Fritz Kopetzky
Zahlreiche Rimbacher, junge und alte, versammeln sich, um den Verein aus der Taufe zu heben.

Am Anfang stand eine gewisse Nervosität: Würden auch genügend Leute kommen? Die Mitglieder der Rimbacher Initiative „Erinnern – Gegen das Vergessen“ warteten auf der Treppe vor dem Rathaus auf Besucher – und staunten nicht schlecht, dass sich der Adam-Schmitt-Saal binnen einer Viertelstunde füllte. Mehr als 50 Menschen kamen, 49 von ihnen trugen sich in die Liste ein und wurden zu Gründungsmitgliedern des neuen Vereins.

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Einstimmig beschlossen sie, dass er denselben Namen tragen sollte wie zuvor die Gruppierung; auch beim Zweck, der in der Satzung festgeschrieben wurde, herrschte Einmütigkeit. Alle hoben die Hand und gaben dem Regelwerk ihren Segen, das festlegte: „Der Verein fördert und unterstützt eine nachhaltige, würdevolle Erinnerungskultur zur Geschichte der ehemaligen jüdischen Gemeinde in Rimbach. Er hält die Erinnerung an die vollständige Auslöschung dieser jüdischen Gemeinde wach.“

Junge und Alte machen mit

Dieses Ziel vereinte Menschen aller Generationen, alte und junge. Männer Anfang 20 und eine kleine Familie samt Kleinkind standen ebenso wie die Älteren hinter dem Vereinszweck, dessen zweiter Absatz lautete: „Der Verein fördert Vielfalt, Toleranz und Völkerverständigung. Er setzt sich für den Abbau von Vorurteilen gegenüber Minderheiten und Menschen anderer Nationalitäten/Religionen ein.“

„Ich bin überwältigt von dem großen Zuspruch, der zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, sagte Eberhard Bickel, den die Versammlung später zum Vorsitzenden wählte. Der Verein, dem ein gutes halbes Jahr die Gründung der Initiative voranging, wolle eine „tragfähige Erinnerungskultur“ etablieren und an die jüdische Gemeinde erinnern, der Rimbach viel zu verdanken habe: „Unter anderem die heutige Martin-Luther-Schule (MLS).“ Nur ein offener Umgang könne zur Versöhnung führen, betonte er: „Wir können nichts für das, was damals geschehen ist. Aber wir würden uns erneut schuldig machen, würden wir keine Erinnerungskultur pflegen.“

Das ist der Gründungsvorstand (hinten, von links): Stephanie Janitschka-Bickel, Günther Röpert, Eberhard Bickel und Christina Ihrig. Daneben sitzt Wahlleiter Volker Knöll, Pfarrer Daniel Fritz (stehend) spricht ein Grußwort. Foto: Fritz Kopetzky
Das ist der Gründungsvorstand (hinten, von links): Stephanie Janitschka-Bickel, Günther Röpert, Eberhard Bickel und Christina Ihrig. Daneben sitzt Wahlleiter Volker Knöll, Pfarrer Daniel Fritz (stehend) spricht ein Grußwort.

Einer der führenden Köpfe der Initiative, Günther Röpert, habe im vergangenen Oktober die „Initialzündung“ gebracht, dass noch viel aufzuarbeiten sei; die Gruppe wuchs von einer Handvoll zu Beginn auf knapp 50 Personen. Am 9. November ging sie erstmals an die Öffentlichkeit, und zwar in der Gedenkstunde zur Reichspogromnacht.

Damals habe es viel Zuspruch gegeben, viel Ermutigung. Später folgten Gespräche mit den Fraktionen der Gemeindevertretung, und Bickel gab ihre Reaktionen wieder, die sich in einem breiten Spektrum zwischen vorbehaltloser Zustimmung und dem völligen Ausbleiben einer Antwort bewegten. Bei Kirchen und in der MLS, deren Geschichtslehrer Jens Gehron ebenfalls anwesend war, habe man dagegen offene Türen eingerannt. Röpert machte sich an die Arbeit, durchforstete die Archive und stellte Kontakt zu Zeitzeuginnen her, deren Aussagen aufgenommen wurden: „Das war zum Teil sehr ergreifend.“ Derzeit sei eine Homepage in Arbeit, die von der Mörlenbacher Firma Seltmann kostenlos erstellt werde.

Christina Ihrig und Hanno Wilk hängen die Karten mit den Namen der ermordeten Rimbacher Juden an Stellwände. Foto: Fritz Kopetzky
Christina Ihrig und Hanno Wilk hängen die Karten mit den Namen der ermordeten Rimbacher Juden an Stellwände.

Röpert verlas eine Nachricht von Dennis Weichsel. Der Sohn des ehemaligen jüdischen Einwohners Kurt Weichsel schrieb aus seiner Wahlheimat Brüssel, dass er „an diesem großen Tag in Gedanken“ bei den Rimbachern sei und bedankte sich dafür, dass sie „das Gedenken der Juden ehren“ wollten – eine Geste, die umso wichtiger sei, als derzeit wieder ein Aufschwung beim Antisemitismus zu sehen sei. Röpert hatte Karten mit den Namen der 25 ums Leben gekommenen Juden aus Rimbach mitgebracht, die von zwei Mitstreitern an Stellwände geheftet wurden – er gab ihre Lebensdaten und – soweit bekannt – die Umstände ihres Todes wieder, und dieser symbolische Akt brachte die Opfer auf sehr eindringliche Weise wieder in den Kreis der Lebenden.

„Es ist wichtig, die Namen zu hören, das waren Menschen, die verwurzelt waren in ihrer Heimat“, erklärte Daniel Fritz. Der evangelische Pfarrer machte kein Hehl aus der „unglücklichen Rolle“, die seine Kirche damals spielte und betonte Wichtigkeit, „die Geschichte ans Tageslicht zu bringen, um nicht zu vergessen und in einen Revisionismus zu verfallen“. Dazu zitierte er Alexander Gaulands Wort vom „Vogelschiss in der deutschen Geschichte“.

Auch Bürgermeister Holger Schmitt kritisierte die Äußerung des damaligen AfD-Vorsitzenden und forderte, dass kein Platz sein dürfe für Falschbehauptungen. Er hatte das 2021 erneut aufgelegte Buch von Wolfgang Gebhard über die Geschichte der Rimbacher Juden dabei, das man nun kaufen konnte; 1987 sei es erstmals erschienen: „Und heute wird ein weiteres Kapitel in der Aufarbeitung aufgeschlagen.“

Die Geschichte komme hier sehr nah, weil Menschen misshandelt, verschleppt und ermordet worden seien: „Es wussten nach meiner Einschätzung alle Bescheid über das, was passierte.“ Helga Müller-Kotthaus, in den Achtzigern Mitglied der damaligen Initiative, lernte noch einige der überlebenden Juden kennen und berichtete von ihren Kontakten, unter anderem zu den Familien Kaufmann und Oppenheimer sowie zu Kurt Weichsel.

„Und ihr habt damals auch schon gesungen“, wandte sie sich mit einem Lächeln an Michael Valentin und Rainer Greulich, die als Duo „Vin Rouge“ auch an diesem Abend jiddische Lieder sangen, die unter die Haut gingen. Zu Gast war auch Sabine Fraune vom Heppenheimer Verein „Stolpersteine“, die berichtete, wie ergreifend die Verlegung der kleinen Messingplatten sei: „Es kommen immer Angehörige und Nachfahren zum Teil von sehr weit her. Sie suchen nach der eigenen Geschichte.“ Auch Gebhards Kinder Frieda und Wolfgang Gebhard waren angereist, und der Sohn des Autors erklärte sichtlich bewegt: „Mein Vater hätte sich sehr gefreut, wenn er das hier erlebt hätte.“

Spuren einer einst großen Familie

Einen harten Kontrast bildeten die Gründungsformalitäten, doch machte das Volker Knöll von der Diakonie Hessen leichter, denn er führte zügig hindurch; die Satzung trat nach Unterzeichnung durch den Vorstand in Kraft, der den Auftrag erhielt, die Eintragung ins Vereinsregister zu erledigen.

Am Ende wurde noch ein längerer Brief von Dennis Weichsel verlesen, bei dem viele schwer schluckten. Er schrieb über ein Rimbacher Ehepaar, das 1938 im zerstörten Haus seiner Familie in der Staatsstraße 16 rettete, was die Übergriffe überstanden hatte: zwei Kristallgläser, die das einzige Erbe seiner einst großen Familie darstellten.

Der Vorstand

  • Die Gründungsversammlung wählte alle Besetzungen der Vorstandsposten unter Leitung von Volker Knöll einstimmig.
  • Vorsitzender ist Eberhard Bickel.
  • Stellvertreterin ist Christina Ihrig.
  • Günther Röpert wird zum Schriftführer gewählt.
  • Schatzmeisterin ist Stephanie Janitschka-Bickel.
  • In Abwesenheit wird Jürgen Winkler zum Beisitzer bestimmt.
  • Die Kassenprüfer heißen Heike Sach und Hanno Wilk.