Rimbach

So litt die Rimbacher Familie Hamburger unter den Nazis

Günther Röpert von der Initiative „Erinnern – Gegen das Vergessen“ hat über das Schicksal der Familie Hamburger geforscht und einen Gastbeitrag geschrieben.

Die Herrschaft der Nationalsozialisten hat Spuren hinterlassen (Symbobild). Foto: Andreas Arnold/dpa
Die Herrschaft der Nationalsozialisten hat Spuren hinterlassen (Symbobild).

Er sei mittlerweile jede Woche im Rimbacher Archiv und sammle Informationen über die ehemaligen Rimbacher jüdischen Glaubens. Das schreibt Günther Röpert, Mit-Gründer der Initiative „Erinnern – Gegen das Vergessen“. Was er dort herausfindet, schreibt er auf und teilt seine Erkenntnisse in diesem Gastbeitrag mit der OZ. Röpert kündigt eine ganze Reihe solcher Berichte an; in diesem widmet er sich der Familie Hamburger aus der Fahrenbacher Straße 6.

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Folgende Menschen gehörten zu dieser Familie: Rudolf Hamburger (1871 bis 1942), Johanna Hamburger geborene Fürth (1876 bis 1942), Gustav Hamburger (1874 bis 1941), Amalie Herz, geborene Hamburger, die am 5 März 1899 geboren wurde, Cora Schenk, geborene Hamburger, Jahrgang 1904, und Fanny Kaufmann, geborene Hamburger (1872 bis 1945).

Schon in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts waren die Hamburgers im Odenwald ansässig; die ersten Familien lebten hier seit dem Dreißigjährigen Krieg. Benjamin Hamburger, der Großvater von Rudolf, Gustav und Fanny, erhielt 1831 einen Schutzbrief von der „Großherzoglich Hessischen Regierung der Provinz Starkenburg“. Durch Zuzug und Einheirat vergrößerte sich die jüdische Gemeinschaft in Rimbach in kurzer Zeit relativ stark – zwischen 1828 und 1858 machte sie mehr als zehn Prozent der Einwohnerschaft aus und war damit die größte Gemeinde im Kreis Bergstraße. Die meisten Juden waren Viehhändler und Hausierer. In den armen Dörfern des Odenwalds waren das die verbreiteten Berufe. Auch die Mitglieder der Familie Hamburger fingen als Hausierer an, bald kam Schrott- und Lumpenhandel dazu.

Vorsteher der Gemeinde

Im Laufe der Zeit brachten sie es zu bescheidenem Wohlstand; ein Gewerbeschein von 1936 weist Gustav Hamburger als Handelsunternehmen mit Eisen, Eisenwaren, Landmaschinen und Schrott aus. Sein Bruder Rudolf war seit 1910 mehrmals in die Gemeindevertretung von Rimbach gewählt worden (insgesamt 15 Jahre), von 1928 bis 1933 war er Vorsteher der jüdischen Gemeinde.

In Zusammenhang mit der ersten staatlichen Judenverfolgung, dem im ganzen Reich ausgerufenen Boykott jüdischer Geschäfte, jüdischer Waren, jüdischer Ärzte und Rechtsanwälte am 1. April 1933, wurden acht Rimbacher Juden von der Gestapo Darmstadt verhaftet und in das neu errichtete KZ Osthofen eingeliefert; es waren David David, Ludwig Kaufmann, Bernard Weichsel, David Weichsel, Gustav Westheimer, Jakob Westheimer, Leo Wetterhahn und auch Gustav Hamburger.

Nach seiner Entlassung kehrte er zu seiner Familie nach Rimbach zurück. In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 drangen Rimbacher Bürger in das Haus der Familie Hamburger ein, zerstörten die Fenster und misshandelten die Familie.

Der Rimbacher Arzt Dr. H. Ungeheuer stellte bei der Familie Rudolf Hamburgers mehrere Platzwunden an Kopf und Armen fest. Nach der Pogromnacht wurden auf Anordnung Hitlers 30 000 jüdische Männer in Deutschland und Österreich verhaftet und ohne Begründung in die Konzentrationslager Sachsenhausen, Dachau und Buchenwald verschleppt. Sie sollten eingeschüchtert und ihre Auswanderung beschleunigt werden. Zudem ging es um die sogenannte „Arisierung“ jüdischer Vermögenswerte; „Arier“ sollten die jüdischen Häuser „erwerben“ und dort einziehen. Solche „Aktionsjuden“, so nannte man die in Zusammenhang mit der Pogrom-Nacht („Judenaktion“) Verhafteten, waren neben David, Max und Abraham Alfred Weichsel auch Jakob Westheimer, Leo Wetterhahn, Ernst Aschenbrand sowie die Brüder Rudolf und Gustav Hamburger.

„Freitod nicht auszuschließen“

Sie wurden ins KZ Buchenwald eingeliefert. Im Februar 1939 wurden Rudolf und Gustav Hamburger entlassen und bald danach ins jüdische Altersheim nach Worms gebracht. Rudolf Hamburgers Ehefrau Johanna zog am 17. Dezember 1938 zunächst nach Kuppenheim zu ihrer Tochter Amalie und folgte kurz danach ihrem Mann ins jüdische Altersheim nach Worms.

Von Januar bis Juni 1942 lag Rudolf schwer krebskrank im jüdischen Krankenhaus Mannheim. Wenn ihn Frau besuchen wollte, musste sie auf umständliche Weise eine Erlaubnis bei der Gestapo Darmstadt einholen. Einen Monat nach seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus ins Altersheim starb Rudolf am 25. Juli 1942, seine Gattin folgte ihm einen Monat später am 23. August 1942. Rudolfs Bruder Gustav ist laut polizeilichem Eintrag am 25. Mai 1941 in Frankfurt gestorben. Offiziell abgemeldet war er nicht. „Freitod ist nicht auszuschließen“, heißt es im Polizeibericht.

Fanny Kaufmann, geboren am 7. Juli 1872, war die Schwester von Rudolf und Gustav. Sie lebte in Mainz, wurde 70-jährig am 27. September 1942 nach Theresienstadt deportiert und starb dort am 23. März 1945.

Englisch unterrichtet

Johanna und Rudolf Hamburger bekamen am 5. März 1899 die Tochter Amalie und am 23. Februar 1904 die Tochter Cora. Diese machte in Rimbach das Abitur, absolvierte eine Ausbildung als Diplomhandelslehrerin und zog nach der Pogromnacht zunächst zu ihrer Schwester Amalie nach Kuppenheim, am 30. Oktober 1939 nach Baden-Baden und emigrierte schließlich am 8. Mai 1940 mit der Familie ihrer Schwester Amalie in die USA.

Sie kehrte nach dem Krieg nach Rimbach zurück – 1948 lebte sie noch in New York –, konvertierte zum evangelischen Glauben und heiratete den Rimbacher Witwer Peter Schenk. Sie gab zahlreichen Schülern Englischunterricht. Cora traf sich im Juni 1964 mit Wolfgang Gebhard, um diesen bei seinen Recherchearbeiten für sein Buch zu unterstützen. Cora Hamburger ist etwa 85 Jahre alt geworden und wurde in Rimbach begraben.

Keine sichtbare Erinnerung

Das Haus ihrer Familie wurde 1939 von dem Obstgroßhändler Albert Finkbeiner erworben (siehe der „Der Volksgenosse“ vom 7. August 1939) und nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. Heute steht dort ein anderes Gebäude.

Mittlerweile gibt es Stolpersteine für die Familie: An Johanna, Gustav und Rudolf Hamburger wird mit den kleinen Messingplatten vor dem Haus Hintere Judengasse 6 in Worms erinnert. Die Stolpersteine für Cora und Amalie liegen in der Murgtalstraße 37 in Kuppenheim. Der Stolperstein für Fanny Kaufmann, geborene Hamburger, liegt in der Rheinstraße 38 in Mainz. In Rimbach gibt es bisher keine sichtbare Erinnerung an diese ehemaligen Mitbürger jüdischen Glaubens.

Der Autor sucht Menschen, die sich noch an eins der Familienmitglieder, aber auch an andere Rimbacher Juden erinnern können. Kontaktieren kann man in online unter g.roepert@t-online.de oder telefonisch unter 0179/8937633