Publikum feiert das Rockmusical "Peer Gynt" in der Weinheimer Stadthalle
Die Opernwerkstatt am Rhein ist bekannt für gewagte Umsetzungen von klassischen Stoffen. Warum sie damit beim Weinheimer Publikum genau richtig lag.
Wenn sich ein Theaterpublikum am Ende der Vorstellung zu minutenlangen Beifallsbekundungen erhebt und sich bei jedem Ensemble-Mitglied mit einem Extra-Bravoruf bedankt, kann der Grund für so viel Begeisterung nur eine gelungene Inszenierung sein. Die Opernwerkstatt am Rhein, bekannt für gewagte Umsetzungen klassischer Weltliteratur in die Moderne, präsentierte am Freitagabend in der Stadthalle, unter der Regie von Sascha von Donat, den nordischen Klassiker „Peer Gynt“ als Rockmusical.
Regisseur Sascha von Donat
Der Norweger Henrik Ibsen schrieb das Drama 1867, Christian Morgenstern übersetzte es ins Deutsche und Edvard Grieg schrieb die Bühnenmusik dazu. Für Sascha von Donat mag es kein leichtes Unterfangen gewesen sein, all diesen großen Namen der Literatur- und Musikgeschichte in seiner skurrilen Mischung aus Rockoper, klassischem Schauspiel und einem Hauch Rocky-Horror-Picture Show gerecht zu werden. Doch dank der dreizehn großartigen Musical-Darsteller, einer fünfköpfigen Liveband und den fantastischen Kostümen aus der Werkstatt von Dorothea Nicolai, wurde der nordische Klassiker mit einer ganz neuen Leuchtkraft versehen, und das im wahrsten Sinne des Wortes dank der stimmungsvollen Lichtregie.
Geschichte eines charmanten Taugenichts
Die Geschichte des charmanten Taugenichts Peer Gynt, der vor keinem Lügenkonstrukt zurückschreckt, sich in Liebes- und Entführungsabenteuer verstrickt, um letztendlich Kaiser der Welt zu werden, ist eine Persiflage auf die heutige Zeit, in der gierige Menschen Besitz anhäufen und dabei nichts anderes produzieren als Armut. Der Musical-Darsteller Gerrit Hericks ist ein grandioser Peer Gynt. Trotz angeschlagener Gesundheit, wie die Regie am Anfang verkündet, agiert er schauspielerisch und stimmlich bis zur völligen emotionalen Verausgabung. Seine rechtschaffene Erschöpfung kann er beim Schlussapplaus nicht verbergen.
Neben der Figur des Peer Gynt wird hier ein besonderes Augenmerk auf den Tod gelenkt, der den Protagonisten wie ein Schatten begleitet (Charismatisch dargestellt im langen weißen Kleid und Zylinder von Anastasia Hille). Ebenso fasziniert Ana Ramirez als Solveig, die ewig reine und treue Begleiterin Peers, der sich kaltblütig den Dirnen zuwendet.
Doch was wäre eine nordische Sage ohne die gespenstisch verrückte Welt der doppelköpfigen Trolle und mystischen Gestalten, die Peer Gynt mit ihren magischen Tänzen erst umgarnen, dann bedrohen und schließlich in Ihresgleichen verwandeln. Stefan Peters gibt den ebenso komischen wie tyrannischen Trollkönig. Und da nun mal alles auf der Welt zwei Gesichter hat, wird die Trollprinzessin auch von zwei Personen gespielt: Der grazilen Samantha Senn und dem beeindruckenden Darsteller mit Down-Syndrom, Nico Randel.
Die klassische Übersetzung des Dramas von Christian Morgenstern wird geschickt mit eigens für das Musical arrangierten Popsongs von Lady Gaga, Radiohead, Kyogo, Cardi B, Ed Sheeran und Pink in die Handlung mit eingeflochten. Selbst die Morgenstimmung von Edvard Grieg kommt durch den Pianisten und musikalischen Direktor Yuhao Guo leitmotivisch zum Einsatz.
Indes ist Peer Gynt auf der Flucht, um seine Freiheit zu behalten, hält seine sterbende Mutter im Arm und nimmt den Leitspruch der Trolle mit, sich selbst genug zu sein. In der Zwiebel, der er Schale um Schale entnimmt, um festzustellen, dass sie keinen Kern besitzt, sieht er sich selbst. Das Wiedersehen mit der unerschütterlichen Solveig wird von dem Scorpions-Song “Still Lovin You” begleitet. Sascha von Donat hat das klassische Drama Peer Gynt in eine grandiose Freakshow mit musikalischer Fülle, zauberhaften Tanzszenen und schauspielerischen Glanzleistungen verwandelt und so Opulenz für alle Sinne geschaffen.