„Schabernack“-Securitymann in Hals gestochen
Der Prozess wegen versuchten Mordes gegen einen 20-Jährigen aus Rheinland-Pfalz startete am Montag. Die Frage der verminderten Schuldfähigkeit steht im Mittelpunkt.

Weinheim/Mannheim. Mit versteinerter Miene sitzt Steven W. im Sitzungssaal des Mannheimer Landgerichtes. Nicht einmal als die Bilder seines Opfers und der zehn Zentimeter langen Schnittwunde, die vom Ohr bis kurz vor das Kinn verläuft, gezeigt werden, weicht sein Blick auf. Für den 20-Jährigen geht es um viel: Ihm wird versuchter Mord zur Last gelegt.
Gestern begann der Prozess gegen den jungen Mann aus dem Rhein-Pfalz-Kreis, der am 17. Dezember einem Security-Mitarbeiter der Weinheimer Diskothek „Schabernack“ zweimal mit einem Messer in den Hals gestochen haben soll. Gretchenfrage der Verhandlungen der Großen Jugendkammer wird die Schuldfähigkeit des Angeklagten sein. Der 20-Jährige hat eine mehrjährige Drogenvergangenheit hinter sich, konsumiert – bereits seit er 13 Jahre alt ist – Betäubungsmittel. Auch während des Verbrechens stand er nachweislich unter dem Einfluss von Diazepam (ehemals als Valium vermarktet) sowie Alkohol und Cannabis.
„Meine letzte Erinnerung ist von der Jackentheke – danach ist alles schwarz“, sagte W. vor Gericht. An die Tat, so der Angeklagte, könne er sich nicht erinnern. „Er würde gerne mithelfen, aber er kann es nicht“, bekräftigte auch Anwalt Steffen Kling, einer der beiden Verteidiger des 20-Jährigen. „Er hat keine Erinnerung an das Wesentliche.“
Das Wesentliche, das sind die Geschehnisse, die sich in der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember im „Schabernack“ abgespielt haben sollen. Steven W. war an diesem Freitag mit Arbeitskollegen zum Trinken verabredet. Bevor er das Haus verließ, hatte ihn eine schicksalhafte Nachricht ereilt: Seine Mutter ist an einem Tumor erkrankt. „Ich habe noch überlegt, ob ich daheimbleiben soll“, sagte W. vor Gericht. Er habe sich dann aber dagegen entschieden. Stattdessen griff er zum Gras und Diazepam. „Ich habe zwei oder drei Tabletten eingeworfen“, erinnerte sich der 20-Jährige. Danach wurde getrunken – Whiskey-Mischungen. Laut dem forensisch-toxikologischen Gutachten, das später von seinem Blutbild erstellt wird, eine gefährliche Mischung. Die Tabletten und der Alkohol beeinflussen sich wechselseitig. „In einer unvorhersehbaren Weise“, wie der Vorsitzende Richter Dr. Joachim Bock aus dem Gutachten zitierte. Dennoch ging das Trinken in der Diskothek weiter. Aufgrund des auffällig aggressiven Verhaltens von Steven W. und der Tatsache, dass er im Inneren des „Schabernack“ einen Joint rauchte, verständigten Gäste die Security. Und Steven W.s Opfer trat auf den Plan.
Zunächst verlief alles ruhig. Der Sicherheitsmann bewegte den 20-Jährigen mit Worten, ihm vor den Eingang der Disco in den Außenbereich zu folgen. Dass er seine Jacke an der Garderobe abholte, daran kann sich W. im Gerichtssaal sogar noch erinnern. Erst danach sei es zum Filmriss gekommen. Im Außenbereich angekommen, redete der Security-Mann dem jungen Erwachsenen laut Zeugenaussagen zu, das ganze Discogelände zu verlassen.
Daraufhin äußerte W. einen Satz, der an diesem Abend schon öfter (gegenüber Gästen) gefallen sein soll: „Ich gebe dir drei Minuten.“ Der Sicherheitsmitarbeiter war verwirrt. „Was soll das heißen? Was passiert in drei Minuten?“ Kaum hatte er diese Fragen gestellt, da zückte Steven W. sein Messer und stach der Sicherheitskraft zweimal in den Hals.
Das Opfer wird später angeben, dass es dachte, es sei geschlagen worden. Zu unvermittelt kam die Waffe zum Einsatz, deren Schneide sich blitzschnell mit einer Bewegung des Daumens aufklappen lässt. Zu unscheinbar war das flache Messer mit einer Klingenlänge von rund fünf Zentimetern.
Dass er nicht auf den Hals geschlagen, sondern in ihn gestochen wurde, bemerkte der Security-Mann erst, als das Blut aus den Wunden quoll, die nur knapp neben der Halsschlagader klafften. Zum Glück des Opfers griff sofort ein Gast beherzt ein und zog Steven W. weg. „Zu weiteren Stichen“, so die Anklage, „ist es nur deshalb nicht gekommen.“ Schließlich griffen auch weitere Security-Mitarbeiter ein und fixierten Steven W. bis zum Eintreffen der Polizei am Boden.
Seine erste Erinnerung, so der Angeklagte, sei, als er in der Zelle aufwachte. Er selbst war nicht unversehrt, hatte unter anderem eine gebrochene Nase und eine Schnittwunde. Das Blut an seinen Händen stammte vermutlich von ihm selbst, die unzähligen Spritzer und Flecken an Oberteil und Hose vorwiegend von seinem Opfer.
„Ich habe gar nicht verstanden, warum ich hier sitze“, sagte W. Das habe er erst durch die Polizei erfahren. „Erstmals realisiert habe ich alles, als ich am nächsten Tag nach Mannheim gefahren wurde. Ich habe dann gefragt: ,Lebt er noch? Geht es ihm gut?’“ Richter Bock erkundigte sich, wieso er überhaupt ein Messer bei sich hatte. Wie sich herausstellte, war es ständiger Wegbegleiter des jungen Erwachsenen. Er begründete diesen Umstand damit, dass er in der Vergangenheit wiederholt in gefährliche Auseinandersetzungen geraten sei.
Ein weiterer Fokus lag auf der Drogenvergangenheit des Angeklagten. Nach der Eröffnung der Beweisaufnahme sagten beim Prozessauftakt drei Kriminalbeamte des Polizeipräsidiums Mannheim aus. Der erste, ein 33-jähriger Polizist, wollte unmittelbar nach der Tat eine Belehrung vornehmen und Angaben aufnehmen. Da jedoch nicht klar war, ob der Angeklagte damals vernehmungsfähig war, wurde diese erst am Morgen durchgeführt. Im späteren Bericht wird stehen, dass Steven W. „stark benommen war“. Und weiter: „Er konnte und/oder wollte der Belehrung nicht folgen.“
Ein gewichtiger Unterschied: Für die Verteidigung wird die Feststellung einer verminderten Schuldfähigkeit durch Alkohol und Drogen eine essenzielle Rolle spielen. Und so hakte Anwältin Brigitte Bertsch ganz genau zu dem exakten Zustand ihres Mandanten nach.
Die Frage der Schuldfähigkeit wird auch bei der heutigen Prozessfortsetzung eine Rolle spielen. Eine ganze Reihe von Zeugen wird aussagen. Vermutlich auch Steven W.s Opfer.