Was ist eigentlich "bezahlbarer Wohnraum"
Wie wirken sich Ukraine-Krieg und Corona-Folgen auf die Baubranche und die Mieten aus? Was fordern Experten? Welche Förderprogramme der Bundesländer gibt es? Eine Bestandsaufnahme.

Was versteht man unter dem Begriff „bezahlbarer Wohnraum“? Wie entwickeln sich die Mietpreise und die Kosten für Neubauten? Und welche Programme haben Baden-Württemberg und Hessen aufgelegt? Hier gibt es Antworten.
Bezahlbares Wohnen: Eine allgemeine Definition gibt es nicht – was daran liegt, dass die Bezahlbarkeit mit der Höhe des verfügbaren Einkommens zu tun hat. Das EU-Parlament spricht in einer Entschließung im Januar 2021 vom „Zugang zu angemessenem und erschwinglichem Wohnraum“ und fordert die Mitgliedsstaaten auf, den Anspruch als Menschenrecht durchsetzbar zu machen. Das Potsdamer Bündnis für Wohnen erklärt: „So soll für eine Wohnung (inklusive aller Betriebskosten) dauerhaft nicht mehr als ein Drittel des Haushaltseinkommens aufgebracht werden müssen und nach Abzug der Warmmiete noch ein Mindestbetrag zur Lebensführung übrig sein (bei Singles läge dieser bei 670 Euro im Monat).“ Zudem soll der Wohnraum im Hinblick auf Größe und Lage den Anforderungen angemessen sein.
Die Friedrich-Ebert-Stiftung nimmt an, dass eine „Armutsgefährdungsschwelle“ erreicht ist, wenn 60 Prozent eines mittleren Haushaltseinkommens für die Miete aufgewendet werden müssen. Im vergangenen Oktober rief die Bundesregierung ein „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ ins Leben und setzte sich zum Ziel, jährlich 100 000 geförderte Wohnungen und insgesamt 400 000 Wohnungen zu errichten.
Entwicklung der Mieten: Für den Deutschen Mieterbund sind Sozialwohnungen „das wichtigste Instrument zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums, da die auf dem Wohnungsmarkt aufgerufenen Neubaumieten für Menschen mit Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein und damit auf eine Sozialwohnung nicht bezahlbar sind“.
Bau von Sozialwohnungen: Der Mieterbund betont: „Der Bestand an geförderten Wohnungen hat sich seit 2006 fast halbiert.“ Und jedes Jahr würden 65 000 Wohnungen aus der Mietpreis- und Belegungsbindung herausfallen; demgegenüber würden weniger als 30 000 Sozialwohnungen pro Jahr gebaut.
Die Studie des Pestel-Instituts weist für 2022 wegen der Flüchtlinge des Ukraine-Kriegs einen „Wanderungsgewinn“, also ein positives Saldo von Zu- und Abgängen, von 1,5 Millionen Menschen aus und betont: „Wenn die 2022 zusätzlich entstandenen Wohnungsdefizite bis 2026 abgebaut werden sollen, so ist bis dahin ein Wohnungsbau von rund 400 000 Wohnungen je Jahr erforderlich.“
Entwicklung der Baukosten: Dieser Trend scheint sich fortzusetzen; das Pestel-Institut hat für die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen und das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ zu Beginn des Jahres ein Gutachten erstellt, „Bauen und Wohnen in der Krise“, das die Entwicklung der Bauwerkskosten „tatsächlich dramatisch“ nennt. Im Vergleich zu 2000 stiegen die Kosten für Rohbauten um 93 Prozent, die für konstruktiven Ausbau um 125 Prozent und die Baunebenkosten um 118 Prozent. Einen Rekord bilden die Steigerungen beim technischen Ausbau, die seit 23 Jahren um 247 Prozent zugenommen haben – allein in den vergangenen drei Jahren gingen sie um 87 Prozentpunkte in die Höhe. Seit der Corona-Zeit schwanken die Preise für verschiedene Baumaterialien extrem, teilweise gingen die Kosten für Bauholz um 40 Prozent nach oben, aktuell wird allerdings ein Rückgang verzeichnet – wenn auch nicht auf das Vor-Corona-Niveau. Für dieses Jahr werden weiter ansteigende Baukosten prognostiziert.
Ursachen der Teuerung: Das Gutachten „Bauen und Wohnen in der Krise“ nennt da etwa die Vorschriften des Energieeinspargesetzes oder des Gebäudeenergiegesetzes. Außerdem betonen die Autoren: „Die mittlere Nutzungsdauer im modernen Wohnungsbau hat sich unter anderem aufgrund der verschärften energetischen Anforderungen (anteilig immer mehr und komplexere technische Anlagen) bei steuerrechtlicher Betrachtungsweise auf mittlerweile 36 Jahre reduziert.“
Teuer wird es auch durch die Realisierungszeiten, die sich seit zehn Jahren, so die Gutachter, „kontinuierlich verlängern“, und zwar besonders deutlich im Bereich des bezahlbaren Wohnens: „Der Median der Realisierungsdauer von Bauvorhaben im bezahlbaren/sozialen Segment liegt mittlerweile bei fast 60 Monaten.“
Auswirkungen der steigenden Preise: Der Ton der Appelle wird durch Ukraine-Krieg, explodierende Energiekosten und eine Inflation von zeitweise knapp acht Prozent drängender. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband geht davon aus, dass künftig 60 Prozent der Haushalte ihre gesamten Einkünfte oder mehr für die reine Lebenshaltung einsetzen müssen, während dies vor einem Jahr nur 15 Prozent der Haushalte waren.
Sonderfonds „Soziales Wohnen“: Im Januar sprach das Bündnis „Soziales Wohnen“ von einer „beängstigenden Sozialwohnungsnot“. 2022 sei mit nur 20 000 Projekten ein „gescheitertes Sozialwohnungsbau-Jahr“ gewesen, heißt es weiter, und das Bündnis fordert, dass der Staat ein Sondervermögen „Soziales Wohnen“ mit 50 Milliarden Euro bis 2025 auflegt. Ziel des Sonderfonds müsse sein, „den zu erwartenden Kollaps auf dem sozialen Wohnungsmarkt abzuwenden“. Um den sozialen Wohnungsbau attraktiver zu machen, müsse die Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent gesenkt werden, zudem brauche es einen „Bürokratiebeschleuniger“ nach dem Vorbild Schleswig-Holsteins, wo derartige Anträge in vier Wochen bearbeitet werden sollen.
Programme des Landes Hessen: Hier reagiert man mit Richtlinien und Förderprogrammen; die Landesregierung stellt bis 2024 insgesamt 2,7 Milliarden Euro zur Wohnraumförderung zur Verfügung.
Programme in Baden-Württemberg: Die Landesregierung nennt ihre Pläne „Wohnraumoffensive BW“. Dazu gehört ein Kompetenzzentrum, das Kommunen „auf dem Weg, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen“, unterstützen will, außerdem die „Patenschaft innovativ Wohnen BW“, die auf „beispielgebende Projekte, Experten-Dialoge und (in Vorbereitung) Experimentier-Räume“ setzt. Etwas konkreter ist da die Wiedervermietungs-Prämie, die Anreize setzen will, leer stehende Wohnungen wieder zu vermieten.