Foto: Philipp Reimer Photography
Weinheim

Frisches Brot für Weinheim

Nach einem Jahr Abstinenz bekommt Weinheim wieder eine inhabergeführte Handwerksbäckerei — mit einem ganz besonderen Konzept. Was Bäckermeister Michael Kress vorhat und warum er keine Torten mehr backt.

Backstuben gibt es viele, echte Handwerksbäckereien sind jedoch rar geworden. Fast ein Jahr ist es her, dass in Weinheims letzter noch inhabergeführten Bäckerei der Ofen ausging. Und das ausgerechnet in der Heimatstadt der Akademie des Deutschen Bäckerhandwerks, der Aus- und Weiterbildungsstätte für einen der ältesten Berufsstände überhaupt. Neues Feuer will Michael Kress entfachen. Der Konditor, Bäckermeister und einer der wenigen Brot-Sommeliers in Deutschland brennt für Brot. Eine krachende Kruste, eine fluffige Krume und ein Aroma nach Espresso und Lakritz – da geht ihm das Herz auf. Seine Leidenschaft fürs Produkt und fürs Bäckerhandwerk wird Kress ab Juli in seine neue, eigene Bäckerei stecken.

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"Brot und Handwerk stehen im Vordergrund" — Bäckermeister Michael Kress

Das Erdgeschoss des Backsteingebäudes in der Hopfenstraße 3 gleich hinter dem Einrichtungshaus Amend wird gerade kernsaniert. Oben spielt die Musik in der Tanzschule „Substanz“. Unten herrscht fleißige Betriebsamkeit. Weiße Wände, graue Fenster und Türen – noch erinnert nichts daran, was hier in den nächsten Wochen entstehen soll. Nur auf dem Boden sind die Maße des wichtigsten Elementes eingezeichnet: des Backofens. Er stammt aus Frankreich und paart modernste Technik mit Tradition. Der elektrisch betriebene Steinbackofen ist das Herzstück der späteren Bäckerei. Die trägt den Namen „Brot Hand Werk“ und drückt damit den Anspruch von Michael Kress aus. „Brot und Handwerk stehen im Vordergrund“, erklärt er.

Noch erinnert kaum etwas daran, dass hier einmal eine offene Backstube entsteht. Den Bäckern kann dann über die Schultern geschaut werden. Foto: Philipp Reimer Photography
Noch erinnert kaum etwas daran, dass hier einmal eine offene Backstube entsteht. Den Bäckern kann dann über die Schultern geschaut werden.

Kress setzt auf ein modernes Brotkonzept, das nur wenig zu tun hat mit dem einer herkömmlichen Bäckerei. Die Betonung liegt auf einem kleinen Brotsortiment von „absoluter Spitzenqualität“, wie der 46-Jährige betont. Dazu braucht es, laut Fachmann, vor allem zwei Dinge: verschiedene Sauerteige und eine lange Teigreifezeit. Auf Hefe kann somit fast verzichtet werden. Genutzt wird die natürliche Fermentation.

Das „Slow-Food-Brot“ wird durch den Verzicht auf Hefe besonders bekömmlich, und dadurch, dass Urkornmehle aus der Region verwendet werden. „Alte Getreidesorten sind eine riesige Spielwiese“, weiß Michael Kress, der sich in seiner neuen Backstube erproben und weiterentwickeln will. Aber eben nur auf dem Sektor Brot. Brötchen oder gar Torten und Kuchen sind nicht im Angebot. Dabei schlagen eigentlich zwei Seelen in seiner Brust: die des passionierten Konditors und die des ambitionierten Bäckers. „Letztendlich habe ich mich für die Brotseite entschieden“, bekennt Michael Kress. Auf der kleinen Fläche der Backstube wäre beides nicht zu verwirklichen gewesen.

Ganz nah dran

Was das neue Konzept noch ausmacht? Die Backstube ist nur durch Glasscheiben vom Verkaufsraum getrennt. Das schafft Transparenz. Der Kunde sieht die Bäcker bei der Arbeit, das Mehl auf dem Tisch und das Brot im Ofen. Gegen den Vertrauensverlust vieler Menschen in die Herstellung von Lebensmitteln stellt der vierfache Familienvater „ehrliche Qualität“.

"Den Leuten fehlt oft das Gesicht hinter dem Brot" — Michael Kress

Neu und außergewöhnlich ist der Umstand, dass das Brot nicht in aller Früh in den Ofen kommt und schon am Morgen zum Verkauf steht. Über die Theke gehen die Laibe erst gegen Mittag, und dann peu à peu, je nachdem, wann sie aus dem Ofen kommen. Kress und seine Bäcker fangen nicht vor 6 Uhr mit der Arbeit an. Damit werden die Arbeitszeiten von der Nacht in den Tag verlagert. So lässt sich die Attraktivität des Berufsstandes steigern, dem die Mitarbeiter weglaufen. Die freuen sich, aber auch die Kunden? Das neue Konzept könnte gerade wegen der Öffnungszeiten und dem kleinen Sortiment für viele gewöhnungsbedürftig sein. „Ja, vielleicht“, gibt Michael Kress zu, „aber ich bin davon überzeugt.“

Junge Bäcker in ganz Deutschland machen es vor und bestätigen diese Einschätzung mit ihrem Erfolg. Da sind zum Beispiel „Die Brotpuristen“ aus Speyer, Max Kugel aus Bonn und Julius Brantner aus München. Eine neue selbstbewusste Generation, die allein auf Brot setzt und darauf, dass weniger besser ist. Junge Bäcker mit Mehlstaub im Gesicht, die mit Herzblut in der Backstube stehen und mit Teig an den Händen.

Die Backstube „gerockt“

Mit den „Wildbakers“ aus Gomaringen hat Michael Kress bereits die Backstube „gerockt“, im Rahmen von gemeinsamen Backkursen. Auch in Weinheim soll es so etwas geben. Der Bäckermeister will Kurse anbieten, zum einen für Schulklassen und Kindergärten, aber auch für brotinteressierte Menschen. Und davon gibt es seit Corona genug. Wer Zeit und Mehl im Überfluss hatte, fütterte während der Pandemie fleißig seinen Sauerteig.

Ein Trend, der mittlerweile zwar abgeebbt ist, aber die Wertschätzung für das Bäckerhandwerk aufgehen ließ wie Hefe den Teig. Durch das Brotbacken wurde vielen Menschen bewusst, wie viel Zeit und Arbeit hinter jedem Laib stecken. Ein Aspekt, der sicher dazu führt, dass die Kunden bereit sind, tiefer in die Tasche zu greifen als für das Brot aus dem Backautomaten des Supermarktes.

„Den Leuten fehlt oft das Gesicht hinter dem Brot“, weiß Michael Kress. Bei „Brot Hand Werk“ soll seins in der offenen Backstube immer zu sehen sein – vielleicht sogar mit Mehlstaub auf der Wange.