Opfer schildert Angriff im „Schabernack“-Prozess
Im Landgericht wurde der mutmaßliche Täter mit seinem Opfer konfrontiert. Am zweiten Tag der Verhandlung gegen einen 20-Jährigen, der einen Weinheimer Türsteher mit dem Messer attackiert hatte, fügte sich das Puzzle langsam zusammen.

Weinheim/Mannheim. Der Täter sagt, er kann sich nicht an das Verbrechen erinnern. Sein Opfer sagt, es bekommt die Tat nicht mehr aus dem Kopf. Gestern fand im Landgericht Mannheim der zweite Tag der Verhandlung gegen Steven W. aus dem Rhein-Pfalz-Kreis statt, der einen Security-Mitarbeiter des „Schabernacks“ im Dezember mit einem Messer gefährlich am Hals verletzt haben soll. Der Anklagevorwurf lautet versuchter Mord.
Freunde, Beobachter, Polizei und Security: Bei der gestrigen Verhandlung wurden Zeugen am laufenden Band vernommen. Es ging darum, die Nacht vom 16. auf den 17. Dezember zu rekonstruieren. Insbesondere den genauen Tatablauf und den Zustand, in dem sich der 20-jährige Angeklagte befand. Denn Steven W., der seit Jahren drogensüchtig ist, war auch am Tatabend berauscht – Alkohol, Beruhigungstabletten, Cannabis. An die Tat könne er sich nicht mehr erinnern.
Geschubst und gedroht
Als die Bruchstücke zusammengetragen wurden, fügte sich folgendes Puzzle zusammen: Steve W. war mit zwei Arbeitskollegen nach Weinheim gegangen, um sich dort zu betrinken. Sie berichteten, dass sie den 20-Jährigen das erste Mal berauscht erlebten: „Eigentlich ist er lustig, macht gerne Witze. Aber an dem Abend war er so leer und ruhig, mit starrem Blick“, erzählte sein 18-jähriger Azubi-Kollege. Das Trio landete im Schabernack, wo es sich im Laufe des Abends aus den Augen verlor. Ein 29-jähriger Besucher griff in seiner Zeugenaussage die Erzählung auf. Demnach war der 20-Jährige alleine auf der Tanzfläche unterwegs, wo er Gäste angerempelt haben soll. Er habe den 29-Jährigen geschubst und ihm gedroht. Ein besorgter Freund wendete sich an den 48-jährigen Türsteher, das spätere Opfer.
„Sehe immer wieder dieses Bild“
Es erinnerte sich vor Gericht nur zu gut an das, was ihm geschehen war: „Ich sehe immer wieder dieses Bild vor mir“, sagte der Security-Mitarbeiter. Zu Beginn seiner Aussage wurde er zum Richtertisch gerufen. Verteidiger, Staatsanwalt und Gutachter standen von ihren Stühlen auf. Alle versammelten sie sich um den muskulösen Türsteher, um die zehn Zentimeter lange Narbe zu begutachten, die an seinem Hals vom Ohr bis kurz vor das Kinn verläuft. Ob sie noch weh tue? „Nur beim Rasieren“, antwortete er und zeigte auf seinen Kopf: „Hier oben mehr.“ Bereits kurz nach dem Angriff begab er sich in Psychotherapie. Die Todesangst, die er erlebt hatte, verfolge ihn nicht nur in seinen Albträumen. „Manchmal sitze ich da und dann erwischt es mich. Ich habe fast einen Monat nur geweint.“ Die Therapie helfe ihm, mit den Flashbacks zurechtzukommen. Und dennoch: Seine Schilderung des 17. Dezember enthielt ein Element, das maßgeblich entlastend für seinen Angreifer sein könnte.
Situation kippt
Zurück auf die Tanzfläche: Nachdem der Türsteher auf den aggressiven und offensichtlich berauschten Discogast angesprochen wurde, ging der 48-Jährige auf Steven W. zu. Mit Worten bewog er den 20-Jährigen dazu, ihm in den Außenbereich des „Schabernacks“ zu folgen, wo sie die Sache klären wollten. „Ich habe ihm noch gesagt: ,Wenn du gute Argumente hast, dann schmeiße ich dich nicht raus.“ W. kooperierte – vorerst. Denn sobald sie im Außenbereich angekommen waren, kippte die ganze Situation. Der 20-Jährige wollte nicht mehr weiterlaufen. Stattdessen begann er, dem Türsteher zu drohen. Es blieb nicht bei Worten: „Auf einmal hat er mir eine verpasst“, so der Security-Mitarbeiter. Als er sich an den Hals fasste, bemerkte er, dass es nicht die Faust war: „Der hat mich mit dem Messer erwischt“, schrie er um die Hilfe seiner Kollegen. Einer, ein 52-Jähriger, war schnell zur Stelle. Er entwaffnete Steven W., trug eine Verletzung an der Hand davon. Gemeinsam mit einem zweiten Mitarbeiter brachte er den 20-Jährigen hinaus auf den Parkplatz. Dort wurde er fixiert, bis die Polizei eintraf.
Richter Dr. Joachim Bock wollte es genauer wissen. Wie hatte er Steven W. entwaffnet? Bock bat den Zeugen, das Geschehen mit dem Opfer nachzustellen. Als dieses von dem Türsteher schwungvoll auf den Boden des Gerichtssaals geworfen wurde, herrschte für einen Moment sichtliche Überraschung über den Einsatzeifer.
Opfer schildert Angriff
Doch auch von dem Opfer wollte der Richter es genauer wissen: Wie hatte Steven W. ihn mit dem Messer erwischt? Der Geschädigte machte eine Bewegung nach, die einem Kinnhaken glich. Mehr Schwung als Stich: Dabei hatte Oberstaatsanwalt Frank Höhn noch explizit von zwei Stichen gegen den Hals gesprochen, als er am Tag zuvor die Anklage wegen versuchten Mordes verlesen hatte. Dieser Vorwurf könnte nun ins Wanken kommen.
Hinzu kam das Gutachten des forensischen Psychiaters Dr. Kaweh Tabakhtory-Fard. Die verminderte Schuldfähigkeit durch den starken Mischkonsum steht im Raum. Ein roter Faden, der sich durch die Vernehmung eines jeden Zeugen während des Prozesses zog. Immer wieder wurden sie nach ihren Beobachtungen zum Zustand von Steven W. in der Tatnacht befragt. Nun gab der Experte seine Einschätzung ab. Demnach war die Steuerungs- und Wahrnehmungsfähigkeit des 20-Jährigen erheblich eingeschränkt. W.s Schilderung von Gedächtnislücken bis hin zum Filmriss erachtete der Mediziner aufgrund des Mischkonsums als plausibel. Einen Tötungsvorsatz des jungen Mannes nicht: „Ich kann nicht von einem zielgerichteten Verhalten ausgehen.“ Auch vorangegangene Aussagen von Polizei und Security-Mitarbeitern ließen auf einen Ausnahmezustand schließen. So soll Steven W. bei Ankunft der Polizei sogar gedacht haben, er selbst befände sich in der Opferrolle.
Vor Gericht zeigte der 20-Jährige am zweiten Verhandlungstag Reue und entschuldigte sich bei seinem Opfer: „Was dort passiert ist, tut mir ehrlich leid. Ich schäme mich jeden Tag dafür und kann mir selbst nicht verzeihen. Ich hoffe, Sie können es.“
Der Prozess wird am Montag weitergeführt. Zunächst werden weitere Zeugen vernommen. Dann sollen die Plädoyers der Verteidiger und der Staatsanwaltschaft gehalten werden. Womöglich wird an diesem Tag auch das Urteil gesprochen.